Auhruhr im Catering-Bereich

■ „1991 — The Year Punk Broke“

Keine Mißverständnisse: „The year Punk broke“ ist nicht das Jahr, in dem Punk zerbrach, sondern das, in dem er durchbrach: zum breiten Erfolg nämlich, zur „Mass Consciousness“, wie Sonic Youth-Sänger und Gitarrist Thurston Moore en passant vor sich hinphilosophiert. Der Ort: irgendein Backstage-Bereich in irgendeiner mitteleuropäischen Stadt. Die Zeit: 1991, während der großen Trans-Europe-Tournee der Band (zusammen mit Nirvana, Dinosaur Jr., den Ramones u.a.). Die These hinter dem Bonmot: Punk war nicht nur nicht tot, er hat im Gegenteil die gesamten Achtziger über kontinuierlich Kräfte gesammelt, um jetzt, zu Beginn der Neunziger, machtvoll aus der Asche von 77 neu zu erstehen.

Was erstmal bewiesen sein will. Und heftigst versucht wird. Ungekämmte, großmäulige Gesellen sind es, die die Kamera in unwirtlichen Hotelzimmern, auf verödeten Rasenstücken oder sonstigen Versatz-Stätten des ewigen Rock'n'Roll-Life aufstöbert; Leute, die im Catering-Bereich für mindestens so viel Aufruhr sorgen wie auf der Bühne, wo sie punk-like in die Saiten greifen und in einem fort who-mäßig das Equipment zertrümmern (besonders gerne gemimt von den damals noch vergleichsweise prä-berühmten Nirvana). Ungezähmt aber auch die Kamera selbst, die offenbar lieber eine Gitarre geworden wäre: Fuzz- Fahrten mit „subjektiver“ Führung, dazu Wahwah-Überblendungen kollabiernder Bild-Ausschnitte, absichtsvoll grobkörniges Material, Grunge-Aufnahmetechnik mit hektischen Wechseln von Schwarzweiß zu Farbe (und umgekehrt), alles kunstvoll unbedarft und in seiner „schlechten“ Produktion auf Wiedererkennung spekulierend — never mind the Bollocks.

Kein Wunder also, daß Veteranen von damals sich an „77“ erinnert fühlen, und noch weniger erstaunlich, daß das einen Schimmer von Verklärung hat. „The year punk broke“ ist nicht so sehr ein Essay-Film, der die Spuren der Vergangenheit in der Gegenwart aufsucht — um sie zu verstehen. Stattdessen bastelt er, was leidlich funktioniert, aus Gegenwart und Erinnerung einen neuen Mythos: „Punk“ als Attitude für die Neunziger.

Dummerweise bleibt dabei auf der Strecke, welche Wendung Hardcore-Rock'n'Roll nicht erst seit Ende des Jahrzehnts auch genommen hat. Im Zeitalter des Rechts-Pogo läßt sich „Punk“ nicht mehr als simpel-verbindliche Gemeinsamkeit reklamieren, und das macht dieses als Botschaft an die Kultgemeinde gedachte Tour-Tagebuch dann doch wieder mit einem Schlag zu Asche. So kann man sich täuschen: 1992 schrieben Sonic Youth den Titel „Youth against fascism“ — für mich eine Reaktion darauf, daß „Punk“ 1991 im Rückblich doch eher, sagen wir, auseinanderbrach. Thomas Groß

Heute, 21 Uhr, Huxley's Neue Welt, Hasenheide 108-114, ab morgen um 22 Uhr im fsk, Wiener Straße 20