"Junge Leute freisetzen"

■ Unternehmen kriegen keine Lehrlinge / Jugendarbeitslosigkeit droht 93 zu steigen

Mit Slogans wie „New Kids in the Shop“ versucht ein großer deutscher Einzelhandelskonzern zur Zeit, Auszubildende anzuwerben. Heftig versprechen die Verfasser des Hochglanz-Faltblättchens im Jugendslang glanzvolle Aufstiegsmöglichkeiten: „Durchblick ist die Mutter der Karrierekiste.“ Die Sorge des Einzelhandels um qualifizierten Nachwuchs ist begründet.

Bundesweit ging die Zahl der abgeschlossenen Ausbildungsverträge gegenüber dem Vorjahr um sieben Prozent zurück: 123.000 Plätze waren am 30. September 1992 noch unbesetzt, während nur noch 11.700 Jugendliche eine Ausbildung suchten. Deutlich zeichnete sich darin der Trend zu den prestigeträchtigen „White Collar“- Berufen ab: Während die Nachfrage in Büro- und Verwaltungsberufen das Angebot deutlich überstieg, hatten viele gewerbliche Berufe Schwierigkeiten, ihre Ausbildungsplätze zu besetzen.

Neben dem Einzelhandel und den traditionellen Handwerksberufen wie beispielsweise Bäcker oder Fleischer ist die Metallbranche von dem Rückgang besonders stark betroffen. Dort blieben 90.000 Ausbildungsplätze 1992 unbesetzt, vor allem in kleinen und mittleren Betrieben. Die großen Automobilkonzerne konnten dagegen nach wie vor zwischen drei Bewerbern pro Stelle auswählen. „Das liegt daran, daß die Qualität der Ausbildung in der Großindustrie viel besser ist“, meint Klaus Heimann, Leiter der Abteilung Berufsbildung der IG Metall. Kleinere Handwerksbetriebe dagegen sähen die Auszubildenden oft nur als billige Arbeitskräfte an.

In den neuen Bundesländern standen auch in diesem Jahr wieder nur für rund 70 Prozent der LehrstellenbewerberInnen Ausbildungsplätze bereit. Der Rückgang der BewerberInnen im Westen erklärt sich hingegen nicht zuletzt aus der Sorge vieler Jugendlicher, nach ihrer Ausbildung auf die Straße gesetzt zu werden. Die Metallindustrie sieht sich vom Konjunktureinbruch besonders stark betroffen. Sie will daher 93 nur knapp die Hälfte der 130.000 jungen Leute weiterbeschäftigen, die ihre Ausbildung abschließen. „Schließlich ist es eher sozial vertretbar, junge Leute freizusetzen statt ältere, die schon eine Familie haben“, erklärt Dietrich Hofstätter vom Arbeitgeberverband Gesamtmetall.

Das dürfte die seit Jahren hohe Jugendarbeitslosigkeit noch einmal in die Höhe treiben, die im Westen der Republik bei 245.000 und im Osten bei 140.000 Beschäftigungslosen unter 25 Jahren liegt. Die vier großen deutschen Automobilkonzerne haben zwar nach Angaben der IG Metall zugesagt, fast alle Jugendlichen nach Ende ihrer Lehre zu übernehmen – dafür aber wollen sie die Zahl der Ausbildungsplätze reduzieren. Dieser Trend hat sich für die Metaller und das Bundesinstitut für Berufsbildung jüngst in Umfragen bestätigt. Die Betriebe wollen weniger ausbilden, weil sie mit dieser Maßnahme Geld sparen. In der Metallbranche kostet eine dreieinhalbjährige Ausbildung 150.000 Mark. „Kurzfristig gedacht“, meint dazu Klaus Heimann. „Auf lange Sicht wird so ein Facharbeitermangel produziert.“

Nicht nur das: das Knausern der Unternehmen mit Ausbildungsplätzen in den 70er und 80er Jahren bescherte der Bundesrepublik das noch heute akute Problem der „jungen Ungelernten“. Sie machen die Hälfte der arbeitslosen Jugendlichen aus.

Dennoch bleibt die Situation auf dem Stellenmarkt für junge Leute widersprüchlich. Hie Jugendarbeitslosigkeit, da Mangel an Azubis.

Ursachen dafür sind der deutlich geschrumpfte Zahl die HauptschülerInnen, die nurmehr ein Viertel der SchulabgängerInnen stellen. Außerdem haben sich die Ausbildungsinhalte „radikal gewandelt“, wie Karen Schober vom Forschungsinstitut der Bundesanstalt für Arbeit erläutert. Etwa die neu geordneten Elektro- und Metallberufe sind technisch anspruchsvoller geworden. Und es gebe einen „Prozentsatz an Jugendlichen, die einfach keinen Abschluß machen. Damit muß man leben.“ Miriam Hoffmeyer