■ Umweltschutz ist für die Regierung mega-out
: Ökologieblockade in Bonn

Der Fortschritt wäre lächerlich gering gewesen. Kein Rechtsanspruch auf staatlichen Umweltschutz stand zur Abstimmung, von keiner detaillierten Bindung von Behörden, Gerichten und Parlamenten war in der Verfassungskommission die Rede. Alles, was von CDU und CSU verlangt wurde, war ein allgemein gehaltenes Bekenntnis zu dem, was eigentlich selbstverständlich sein sollte: die Bewahrung der natürlichen Lebensgrundlagen. Und auch das nur als erstes Signal an die Öffentlichkeit, denn das letzte Wort haben ohnehin Bundestag und Bundesrat.

Es sollte nicht sein. Im letzten Moment zerstoiberte der bayerische Innenminister alle Hoffnungen auf einen Kompromiß. Seine Begründung war ebenso geschickt wie verräterisch: Man müsse fürchten, daß die Gerichte mit Verweis auf das Staatsziel noch häufiger als sonst Entscheidungen der Regierung korrigieren könnten. Die Rechte der gewählten Volksvertreter seien bedroht. Merke: Daß die bayerische Landesregierung und die Bundesregierung in Bonn von sich aus ökologische Maßstäbe anlegen könnten, wird von ihnen selbst in Abrede gestellt.

Das ist in dieser entwaffnend ehrlichen Unehrlichkeit nicht nur dreist, es ist auch neu. Vollmundige Bekenntnisse zum Umweltschutz, die noch vor kurzem in den Sonntagsreden des Kanzlers und seiner bayerischen Unionsfreunde selten fehlten, sind in Bonn und vielen Landeshauptstädten heutzutage mega-out. Seit CDU und CSU nicht nur den Abschwung Ost bremsen, sondern auch noch um den Aufschwung West fürchten müssen, versetzt sie das Wort „Ökologie“ in Panik. Langfristige ökologische Vernunft, wie sie vor zwei Jahren in Bonn wenigstens ab und zu noch durchschimmerte, hat deshalb keine Chance mehr. An die Selbstverpflichtung der Bundesregierung, die Emission von klimabeeinflussenden Gasen in Deutschland drastisch zu verringern, kann sich außer dem Umweltminister niemand mehr erinnern. Klaus Töpfer – so weit sind die Maßstäbe verschoben – erscheint dem Kanzler längst als übereifriger Umweltschützer. Den Posten des Umweltministers mußte er zwar nicht verlassen, doch faktisch ist Töpfer kaltgestellt. Wo immer er der Industrie mit Forderungen kommt, etwa nach einer Energiesteuer, winkt die nur müde ab: Sie hat immer schon Briefe des Kanzlers in der Hand, in denen ihr maximale Schonung versprochen wird.

Dabei weiß die Regierung selbst, daß sie mit dieser Politik in die Sackgasse steuert. Durch indirekt subventionierte Energiepreise etwa werden veraltete, rohstoff- und energieverschleudernde Industrien immer noch geschützt, umweltfreundliche Branchen und Technologien dagegen systematisch behindert – so sagen es selbst Studien des Wirtschaftsministers. Doch mit den Konjunkturdaten sinkt auch der Stellenwert des Umweltschutzes auf der öffentlichen Agenda unter die Nullinie. Das registrieren die Christdemokraten umso wachsamer, als die nächsten Wahlen gefährlich nahe sind – und die Sorgen, daß die Union dabei verlieren könnte, gefährlich berechtigt.

Anstatt alle Kraft auf die Rettung der Natur zu verwenden, stecken CDU und CSU diese Energie lieber in die Ökologieblockade. Das geschieht vorsätzlich, aus niederen Motiven und kollektiv. Man spräche von organisierter Kriminalität – wählte man, was wir nicht täten, die Worte eines Stoiber. Hans-Martin Tillack