: „Schönes Beispiel für Demokratie“
Der türkische Schriftsteller Aziz Nesin (78) will Salman Rushdies „Satanische Verse“ übersetzen/ Die Morddrohung aus Teheran schreckt ihn nicht – er ist schon zwei Anschlägen entgangen ■ Von Ömer Erzeren
Der berühmte türkische Schriftsteller Aziz Nesin will um jeden Preis durchsetzen, daß noch zu seinen Lebzeiten die „Satanischen Verse“ von Salman Rushdie auf türkisch erscheinen. Der 78jährige, der Salman Rushdie in London kennenlernte, bezeichnet es als „Ehrlosigkeit“, daß das Buch immer noch nicht auf türkisch erschienen ist. Aus Angst vor iranischen Terrorakten hat bislang kein türkischer Verlag das Buch verlegt.
Vor drei Jahren schon hatte Aziz Nesin das Thema vor dem Schriftstellerverband eingebracht. Mit den Namen von über hundert türkischen Schriftstellern sollte das Buch erscheinen. Bislang erfolglos. Zur Not will Querdenker Nesin das Buch allein herausgeben. „Reaktionäre und fundamentalistisch- religiöse Gruppen erstarken. Wir müssen zeigen, daß wir keine Angst vor ihnen haben und keine Konzessionen machen“, sagt Nesin. Auch die Ermordung des Islam-kritischen Journalisten Ugur Mumcu hält den populären Autor nicht von seinem Vorhaben ab: Den Wunsch Salman Rushdies, das Buch nicht mehr zu verlegen, will er keinesfalls akzeptieren. „Nach all den Ereignissen ist das Buch nicht mehr Eigentum des Autors – es kann nicht einfach zurückgezogen werden.“
Der türkische Kulturminister Fikri Saglar begrüßte die Initiative, machte ihm aber wenig Hoffnungen auf die Veröffentlichung seines Buches. Zwar könne das Buch nicht aus dem Budget des Kultusministeriums finanziert werden, doch die Initiative sei „ein schönes Bespiel für demokratisches Verhalten“: „Wir wollen die Freiheit in der Kultur und der Kunst.“
Die Antwort aus Teheran ließ nicht lange auf sich warten. In einem Leitartikel bezeichnete die Zeitung Cumhuri Islami Aziz Nesin als „dreckigen Schriftsteller“ und „zionistischen Knecht“. Auch für Nesin wurde inzwischen eine Todes-Fatwa abgegeben. „Salman Rushdie ist zum Tod verurteilt worden, weil er den Propheten und den Islam verachtet. Aziz Nesin, der diese Verachtung teilt, gebührt ebenfalls das Todesurteil.“ Außerdem erging im Iran ein Aufruf, die Bücher des auch dort gern gelesenen türkischen Satirikers zu boykottieren.
Der Boykott läßt den Autor völlig kalt: „Das sind doch Diebe. Seit 40 Jahren drucken sie im Iran meine Bücher, ohne die Autorenrechte zu zahlen. Ich kann nur Freude über den Boykott empfinden.“ Gegen die Todesdrohung aus Teheran will sich Aziz Nesin, der bereits zwei Attentaten entging, mit einer Pistole wehren. Vor über einem Jahr stellte er einen Antrag auf einen Waffenschein. Doch der türkische Staat verweigert dem Schriftsteller die Genehmigung für eine Waffe. In einem Schreiben an den türkischen Innenminister sinnierte Nesin über die Hintergründe: „Der Begriff ,laizistische Türkei' ist zur Phrase geworden. Längst haben sich im Staatsapparat und in den Ministerien die reaktionären und fundamentalistischen Kräfte eingenistet.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen