Umwelt im Grundgesetz zerstoibert

Union blockiert Staatsziel Umweltschutz im Grundgesetz/ Kompromiß scheiterte nach Intervention von Bayerns Innenminister Stoiber/ Plebiszite ebenfalls abgelehnt  ■ Aus Bonn Hans-Martin Tillack

Die verbal von allen Parteien befürwortete Aufnahme eines Staatsziels Umweltschutz in das Grundgesetz ist wieder in weite Ferne gerückt. In einer dramatisch verlaufenen Abstimmung verfehlte ein von der SPD gestellter und von FDP, Grünen, Bündnis 90 und PDS unterstützter Antrag am Donnerstag abend in der gemeinsamen Verfassungskommission von Bund und Ländern knapp die erforderliche Zweidrittelmehrheit. Bei 41 Jastimmen, 21 Neinstimmen und einer Enthaltung fehlten in der 64köpfigen Kommission lediglich zwei Stimmen. Auch der Vorsitzende der Verfassungskommission, Rupert Scholz (CDU), das CDU-regierte Land Sachsen sowie das von CDU und SPD geführte Berlin stimmten dafür, die CDU/CSU-Bundestagsfraktion mit Ausnahme von Scholz geschlossen dagegen.

Der SPD-Sprecher in der Kommission, der Abgeordnete Hans- Jochen Vogel, sprach gestern von „massivem Druck“, den die Fraktionsführung der Union auf ihre Abgeordneten in der Kommission ausgeübt habe. Die Sozialdemokraten wiesen darauf hin, daß der Wortlaut des Antrags – „Die natürlichen Lebensgrundlagen stehen im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung unter dem Schutz des Staates“ – ursprünglich von Scholz formuliert und von den CDU-Mitgliedern der Kommission mitgetragen worden war. Eine Intervention des bayerischen Innenminister Edmund Stoiber (CSU) führte aber dazu, daß die Unionsfraktion von ihrer Zustimmung zu der Kompromißformulierung wieder abrückte.

CDU/CSU-Fraktionsgeschäftsführer Jürgen Rüttgers bedrängte die christdemokratischen Kommissionsmitglieder noch unmittelbar vor Beginn der Kommissionssitzung in einer eigens einberufenen „Krisenrunde“ (so ein FDP- Abgeordneter), dem Kompromißantrag die Zustimmung zu verweigern. Zuvor war noch von einigen Unionsabgeordneten die Rede gewesen, die dem Kompromißantrag zur Mehrheit verhelfen wollten.

Ein Alternativantrag der CDU/ CSU-Fraktion, der das Staatsziel Umweltschutz unter einen Gesetzesvorbehalt stellen wollte – „Das nähere regeln die Gesetze“ – erhielt in der Kommission lediglich 27 Stimmen. Die SPD lehnte den Gesetzesvorbehalt ab, so der Abgeordnete Jürgen Schmude, weil er eine „weitere enttäuschende Schwächung des Staatsziels“ zur Folge gehabt hätte.

Schon der von Scholz formulierte Kompromißantrag hätte nur „eine relativ schwache Wirkung“ entfaltet, meinte Schmude. Er sei von der SPD nur um des Kompromisses willen akzeptiert worden.

Bayerns Innenminister Edmund Stoiber führte in der Kommission dagegen die Befürchtung an, ein nicht eingeschränktes Staatsziel Umweltschutz stärke lediglich die Gerichte. Sie würden im Zweifelsfall, etwa bei Entscheidungen über Infrastrukturprojekte, „dann immer zugunsten des Umweltschutzes“ entscheiden. Dies sei eine „völlig falsche Entwicklung, die wir auf keinen Fall akzeptieren“, so der CSU-Mann.

Scholz und Vogel äußerten gestern die Hoffnung, dem Staatsziel Umweltschutz im weiteren Verlauf der Beratungen doch noch zu einer Mehrheit verhelfen zu können. Einstweilen gescheitert sind mit der Kommissionssitzung vom Donnerstag auch eine Reihe weiterer Forderungen aus den Reihen von SPD, Grünen, Bündnis 90 und FDP. Anträge für Staatsziele auf Arbeit, für soziale Sicherheit, Wohnen, Kultur und Bildung, Tierschutz und das Grundrecht auf Datenschutz verfehlten die nötige Zweidrittelmehrheit klar.

Die Einführung von Plebisziten und Volksinitiativen scheiterte ebenfalls an CDU und CSU. Entsprechende Anträge der SPD und von Bündnis 90 und Grünen erlangten nicht einmal die absolute Mehrheit der Stimmen.

Kommentar des ostdeutschen SPD-Abgeordneten Konrad Elmer zum Ergebnis der Abstimmung: Angesichts der „brutalen Härte“ der Union packe ihn „tiefe Verzweiflung“.