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Erst kommt das Geld, dann die Mafia

■ Vor zehn Jahren gab die Mafia die Parole aus: "In Deutschland investieren - dort ist alles ruhig." Das ist es heute nicht mehr. Und noch weniger im nachkommunistischen Osten, wo Banken, Polizei und...

Erst kommt das Geld, dann die Mafia

Wenn der Tiger aus dem Käfig ausgebrochen ist, möchte man sich am liebsten im Haus verbarrikadieren. Doch was nützt es, wenn das Biest bereits in der Wohnstube sitzt? Luciano Violante, Präsident der Anti-Mafia-Kommission des italienischen Parlaments, drückt sich gern metaphorisch aus. Die Mafia ist längst unter uns, sie agiert, korrumpiert, erpreßt, investiert. Über den Tiger redete Violante, Führungsmitglied der italienischen „Partei der Demokratischen Linken“ (PDS) – vormals „Kommunistische Partei“ –, auf einer Fachtagung über organisierte Kriminalität in Italien und Deutschland, die gestern im Berliner Reichstag zu Ende ging. Am vergangenen Dienstag erst habe Gaspare Mutolo, ein geständiger Mafioso, Denkwürdiges zu Protokoll gegeben: Als sich 1982 in Italien die Verabschiedung eines Anti-Mafia-Gesetzes abzeichnete, das vom später ermordeten Abgeordneten Pio La Torre ausgearbeitet worden war, riet ein angesehener „Ehrenmann“ seinen Gleichgesinnten, in Deutschland zu investieren. Dort sei „alles ruhig“.

Legalität und Illegalität verschmelzen

Das ist über zehn Jahre her. Und so ruhig ist es in deutschen Landen längst nicht mehr. Auch das Bundeskriminalamt, welches das Problem damals kaum zur Kenntnis nahm, hat vor zwei Jahren in einer Studie festgestellt: „Das Ziel der Gewinnmaximierung in breiten Teilen unserer Gesellschaft und Wirtschaft, das es ,erforderlichenfalls auch mit illegalen Mitteln zu erreichen gilt‘, läßt eine progressive Verschmelzung von Illegalität und Legalität mit der Folge befürchten, daß das organisierte Verbrechen zu einer der dominierenden Schubkräfte in unserer Wirtschaft werden könnte.“ Gefahr erkannt, doch längst nicht gebannt. Ganz im Gegenteil.

„Die Internationalisierung ist ein konstitutives Merkmal moderner mafioser Organisationen“, doziert Violante, der im Hauptberuf einen Lehrstuhl für Strafrecht und Strafprozeßrecht innehat. Staatsgrenzen, die für Strafverfolgungsbehörden immer noch Hindernisse darstellen können, überspringt das schmutzige Geld mit Leichtigkeit. Erst kommt das Geld, dann die Mafia selbst.

Ein gefundenes Fressen ist da vor allem der nachkommunistische Osten, wo es noch keine effizienten Bank-, Polizei- und Justizstrukturen gibt. Allein in den vergangenen sechs Monaten, so Violante, seien 1.200 Kolumbianer nach Polen eingereist – mit einem Touristenvisum, wohl aber oft zu anderen als touristischen Zwecken. In Rußland soll es fünfeinhalb Millionen Drogenabhängige geben. Während 1989 Rauschgift im Wert von vier Milliarden Rubel gedealt wurde, waren es 1991 bereits 16 Milliarden – eine Vervierfachung in zwei Jahren. Wen kann es da wundern, daß im verblichenen Sowjetreich massenhaft italienisch- russische Joint-ventures aus dem Boden sprießen.

Die Achillesferse der organisierten Kriminalität – da waren sich fast alle Juristen, Polizisten und Politiker, die zur Tagung gekommen waren, die Friedrich- Ebert-Stiftung und italienische PDS gemeinsam veranstalteten, einig – ist nämlich das Recycling der vor allem aus dem Drogen- und Waffenhandel illegal akkumulierten Gelder. „Soldaten sind austauschbar, wir müssen den Jungs ans Geld“, sagt denn auch Jürgen Albrecht vom Landeskriminalamt Brandenburg.

„Gewinnaufspürungsgesetz“

Zwar gibt es seit dem 22. September 1992 auch in Deutschland den Straftatbestand Geldwäsche. Seit dem 1. Januar gilt eine EG-Regelung, die Kreditinstitute verpflichtet, Anteilseigner von über 10 Prozent ihres Eigenkapitals der Bankenaufsicht anzuzeigen. Und im Innenausschuß des Bundestages wird zur Zeit ein Entwurf eines „Gewinnaufspürungsgesetzes“ beraten, das die Offenlegung von Finanztransaktionen ab einer bestimmten Größenordnung zur Pflicht macht – bei Verdacht auf Geldwäsche sogar generell.

Doch der LKA-Mann ist unzufrieden. Er sieht noch zu viele Schlupflöcher und Nischen. Zum Beispiel sind nach dem noch umstrittenen Entwurf Rechtsanwälte, die treuhänderisch Gelder verwalten, nicht verpflichtet, die Identität der Treugeber aufzudecken.

Was dem Polizisten zuwenig ist, gilt dem Bankier schon als zuviel. So ist Hansjörg Döll, Direktor des Bundesverbandes Deutscher Banken, zwar bereit, Geldwäscherei anzuzeigen, „obwohl damit die Strafverfolgung in die Privatgesellschaft hineinverlagert wird“, doch könne man es Angestellten von Kreditinstituten nicht zumuten, recyclingverdächtiges schmutziges Geld zu erkennen. Mit der generellen Identifizierungspflicht für Finanztransaktionen ab einer bestimmten Größe würden Daten zahlreicher völlig legal handelnder Bürger erfaßt und diese also in ihren verfassungsmäßig verbürgten Rechten über Gebühr eingeschränkt.

Wenn es darum geht, die Achillesferse der organisierten Kriminalität zu treffen, tut sich die politische Klasse offenbar schwer. Da stößt sie auf den geballten Widerstand von Wirtschaftsverbänden. Obwohl illegale Aktivitäten etwa auf dem Investitionsmarkt einen Konkurrenzvorteil haben, weil sie Steuern und Sozialabgaben einsparen. Und der Politikwissenschaftler Hans See, Vorsitzender von „Business Crime Control“, einer Organisation, von der er selbst meint, daß sie „für die Wirtschaft das werden könnte, was Greenpeace für die Natur ist“, weist darauf hin, daß in Italien die Mafia mit gewaschenen Geldern bereits bis zu einem Drittel der Staatsobligationen aufgekauft hat. Da werden Milliardensummen zur Erzielung von Spekulationsgewinnen um den Erdball gejagt. Da werden Börsenmanipulationen inszeniert, über die mitunter Regierungen stürzen können.

Leichter tun sich die Politiker, wenn es nicht um die Konfiszierung illegaler Gelder, sondern um den Angriff auf die auswechselbaren Täter geht. Verdeckte Ermittlungen und elektronische Mittel zum Abhören von Gesprächen in öffentlichen Räumen sind bereits erlaubt. Und schon drohen die Legalisierung von Straftaten bei verdeckten Ermittlungen und der „große Lauschangriff“, das Abhören von Privatwohnungen.

Während Hans-Jürgen Fätkinheuer, Vorsitzender des Verbandes Berliner Staatsanwälte, den Gegnern der „elektronischen Kommunikationsüberwachung“ im privaten Bereich Drückebergerei vor notwendigen Schritten unterstellt, lehnt die Berliner Justizsenatorin Jutta Limbach den Eingriff in die Unverletzlichkeit der Wohnung ab. Es gehe um „eines der höchsten Güter unserer Verfassung“, und organisierte Kriminelle würden dann eben mit akustischer Abschirmung über elektromagnetische Quellen antworten.

Olaf Franke von der Vereinigung Berliner Strafverteidiger hält die Legalisierung von Straftaten beim Einsatz verdeckter Ermittler ohnehin für kontraproduktiv. Das werde zu einer Zentralisierung staatlicher Macht führen und bei den Bürgern das Gefühl von Ohnmacht vermehren, womit letztlich der organisierten Kriminalität, die man zu bekämpfen vorgebe, der Nährboden geliefert werde.

Ersatz für verlorene Feindbilder

Während im Reichstag zu Berlin Staatsanwälte, Polizeiführer und italienische Experten vor einer kaum mehr kontrollierten Ausbreitung mafioser Strukturen warnten, befürchteten liberale Wissenschaftler, Politiker und Anwälte eine Instrumentalisierung der realen Gefahr. Gewissen politischen Kreisen komme die organisierte Kriminalität als Ersatz für die verlorenen Feindbilder Kommunismus und Terrorismus gerade recht. „Der Mensch, der bereit ist, seine Freiheit aufzugeben, um Sicherheit zu gewinnen“, zitierte Jutta Limbach das Universalgenie Benjamin Franklin, „wird beides verlieren.“ Thomas Schmid

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