Eine verspätete Anerkennung

■ Gesichter der Großstadt: Gerhard Hentrich gibt seit elf Jahren Bücher über das jüdische Leben heraus / Brandenburg würdigt seine Arbeit mit einer Ausstellung

Berlin. Laut ist es im Druckhaus Hentrich in Steglitz, eine Rotationsmaschine spuckt Stadtpläne aus. Doch Gerhard Hentrichs Interesse gilt den Druckfahnen eines Buches, das den erfolgreichen Kampf von mehreren hundert Berliner Frauen um ihre jüdischen Ehemänner im März 1943 schildert. Das lange vergriffene Buch erscheint demnächst wieder – zum 50. Jahrestag des Frauenaufstandes. Daß nicht nur dieses, sondern darüber hinaus viele Kapitel Berliner und jüdischer Geschichte einer breiteren Öffentlichkeit bekannt wurden, ist nicht zuletzt Hentrichs Verdienst. Der fast 69jährige leitet einen der kleinsten, aber wohl wichtigsten Verlage in Berlin. Sein erstes Buch brachte er vor elf Jahren zum 40. Jahrestag der Wannseekonferenz heraus, auf der im Januar 1942 die Vernichtung der europäischen Juden organisiert wurde. Damals, so erinnert sich der Verleger stolz, „wollte keiner so recht an das Thema heran“.

Hentrichs Lebensgeschichte ist eng mit dem jüdischen Schicksal verwoben. Seine Mutter, eine sogenannte Halbjüdin, überlebte die Nazizeit – ein Teil ihrer jüdischen Verwandtschaft, die nicht emigrierte, wurde umgebracht. Seinen Vater, der sich nicht von seiner Frau trennte, zogen die Nazis zur Zwangsarbeit ein. Und Gerhard Hentrich selbst, nach den Nazi-Gesetzen ein „Mischling zweiten Grades“, wurde als Wehrmachtsoldat 1944 an der Ostfront schwer verwundet. Nach dem Krieg lernte er bei seinem Vater den Beruf des Druckers, übernahm schließlich dessen Betrieb.

Die Druckerei war und ist das Fundament, das seine Edition Hentrich finanziert. Reich, sagt er, könne keiner der Autoren werden, das sei „eine Sache des Engagements“. Als Bestseller gilt, wenn 3.000 Exemplare über die Ladentheke wandern. 94 Titel umfaßt bis heute das Verlagsprogramm, viele befassen sich mit der Vertreibung und Vernichtung der Juden, aber auch mit dem jüdischen Leben an sich. Letzteres ist für Hentrich mehr denn je Programm: „Wir müssen wieder deutlich machen, daß der Jude nicht nur Opfer war, sondern auch ein ganz normales Leben geführt hat – wie andere auch.“ Nicht immer wurde sein Engagement begrüßt. Der Band „Zerstört – Besiegt – Befreit“ war 1985 der damaligen Schulsenatorin Hanna-Renate Laurien (CDU) zu sowjetfreundlich – ohne Begleittext durfte er nicht in die Schulen. Überhaupt zeigte sich Berlin bis heute wenig kooperativ – ganz im Gegensatz zum Land Brandenburg. Auf dem Gelände des ehemaligen KZ Sachsenhausen wird Anfang April eine Ausstellung der Hentrich-Edition eröffnet werden. Immerhin, sagt Hentrich, „die erste öffentliche Anerkennung“. Severin Weiland