Eine Amerikanerin in Berlin

Der Kudamm war am Wochenende voll heißer Luft. Sie konzentrierte sich in einem großen Ballon — Bestandteil des Protests des Internationalen Frauenaktions-Bündnis gegen Rassismus. „Asylrecht nur noch heiße Luft“ stand darauf — für alle, die's noch nicht begriffen hatten. Mir gefällt diese Art Protest im Lande der Neo-Nazis (woran die Amerikaner durch ihre Presse ständig erinnert werden). Ich frage mich nur, warum es solche Demonstrationen nicht daheim im Lande der Freiheit gegeben hat, für den Babysitter derJustiziministerskandidatin Zoe Baird.

Seit ich neulich über den lässigen Umgang der Deutschen mit den Verkehrsampeln staunte, ist mir ein noch schrecklicheres Beispiel für den nationalen Niedergang deutlich geworden: deutsche Nichtraucher. Um genauer zu sein: Deutsche, die das Rauchen aufgeben. Ich hatte gedacht, das gierige Inhalieren zum geheimnisvoll starren Blick sei eine Sache des Nationalstolzes. Darin hatte mich bestärkt, daß selbst Parteiversammlungen der Grünen unter Wolken von Benson & Hedges stattfanden: über die Übel der Verschmutzung herziehen und schnell noch eine durchziehen. Das geht jetzt alles in Scherben. Meine liebste Berliner Freundin hat aufgehört. Von Alkohol und Zucker hält sie auch nichts mehr. Hilflos stehe ich da. Den ganzen Weg nach Berlin bin ich gekommen, um meine jährliche Lektion Exotik zu genießen, und was finde ich...Kalifornien.

Der beste Film des Wochenendes, für alle, die es wissen müssen, wurde geschrieben und produziert unter der Regie von Albert Wiederspiel für die Twentieth Century Fox. Er spielte in dem Gebäude, wo die Berliner anscheinend alle zwei Jahre ihre Autos zur technischen Überprüfung bringen, und es war die „Hoffa“-Party — komplett mit De Vito (der buchstäblich hereingefahren kam), mit einem Buffet an der Decke, das mit einem Kran zu Boden gelassen wurde, und vor allem der „Hoffa“-Musik von allen Seiten. Ich habe mir immer eine Tonspur für mein Leben gewünscht. Wie ich höre, hatte Robert Altman Kameras unter jeder Karotte und jedem Kartoffelchip versteckt, um das Ganze abzufilmen für seine Fortsetzung von „Der Spieler“ — unter dem Titel „Wiederspieler“.

Wenn wir schon dabei sind: „Love Field“ ist ein Replay von „Guess Who's Coming to Dinner“ — zu einem Zeitpunkt, wo es nun wirklich nicht mehr drauf ankommt. Den Film schmückt immerhin die hervorragende Darstellung von Michelle Pfeifer als einer Kreuzung von Marilyn Monroe und Lucille Ball. „Le Jeune Werther“ ist ein sehr französisches Replay der letzten 25 Jahre französischen Kinos, wo ständig schöne junge Menschen durch schöne Straßen laufen und das Leben entdecken. Das ist schön.

„Jack the Bear“ ist ein Replay des Romans von Dan McCall — ohne das Perverse daran. Die Geschichte konzentriert sich auf den Unterschied zwischen den Phantasieschrecken der Thriller und der wahren Gewalt der Realität — ein sehr wichtiges Thema für die Vereinigten Staaten von heute, denn die Verwischung des Unterschieds zwischen beiden stellt das Motiv für das Verbot von Filmen, Musik, Büchern und den schärferen Produkten der NEA. Endlich schlägt die Filmindustrie zurück — nicht das erste Mal. Der neue Film „Matinee“ mit John Goodman zum Beisiel versetzt dem Dogma Film-schafft-Böses ein paar solide Hiebe. In „Jack the Bear“ spielt Danny De Vito sehr schön einen Vater, der als Moderator einer Monstershow im Fernsehen Monster im Leben entdeckt. Aber die Fernseh-Jahre von Regisseur Marshall Herskowits (er führte Regie in der Serie „Thirty Something“) haben ihre Spuren auf dem Film hinterlassen. Die Kamerabewegungen springen einem ziemlich ins Gesicht, genauso wie die Botschaft des Films.

Und schließlich beschäftigt sich Otar Iosselianis „Jagd auf Schmetterlinge“ damit, wie das Leben nachgespielt wird. Er geht an das Thema heran wie Noel Coward — dessen Ansatz sich am schönsten in seinem Lied „The Stately Homes of England“ zeigte. Die heruntergekommenen Herrenhäuser boten der verarmten Aristokratie bloß noch „jede Menge Gelegenheiten zur Erforschung der Psyche“ — dank den Geistern toter Verwandter, die gegen Geld auftraten. In „Jagd auf Schmetterlinge“ entdeckt Otar Iosseliani Cowards Lied neu für den französischen Landadel von heute, dessen Schlösser von Trends und Technologie überschwemmt werden, dessen Habseligkeiten verscheuert werden an Antiquitätenhändler, Maharadschahs und japanische Geschäftsleute. Der Film beginnt mit einem vergnügten Portrait der friedlichen, leicht verrückten Rituale einer verwitweten Achtzigjährigen, ihres Personals und ihrer Nachbarn. Sie fahren mit dem Rad auf den Markt und zur Kirche, spielen Krocket und Blasmusik. Zum Schluß ist die achtzigjährige Erbin tot und die übrigen haben ihre Chance, ihren Träumen nachzujagen. Der Maharadscha macht sich mit dem Schmuck der Verstorbenen aus dem Staub, der Antiquitätenhändler verschwindet mit den meisten Lehnstühlen und der Japaner mit dem Haus. Kurz, der Westen geht nach Osten und der Osten kommt in den Westen. In der ganzen Chose geht Iosseliani nie mit dem Tempo runter oder verliert seine geistesabwesende Leichtigkeit. Kein Heimweh nach vergangenem Glanz, eher die Erkenntnis, daß das Gras woanders immer grüner wirkt und die Menschen sich ein Büschel davon sichern wollen. Marcia Pally

Aus dem Amerikanischen von Meino Büning