ED-behandeln und schnell abschieben

Auch die SPD kann den Asylkompromiß nicht mehr schönreden/ Der Entwurf für ein Asylverfahrensgesetz läßt Flüchtlingen kaum noch eine Chance/ Verfassungsrechtliche Bedenken in der SPD-Bundestagsfraktion  ■ Aus Hannover Jürgen Voges

Da gibt es zwar noch jenes kleine Sternchen samt einer verfassungsrechtlichen Anmerkung der SPD im gemeinsamen Entwurf Regierung und Opposition für das neue Asylverfahrensgesetz. Doch ansonsten haben die Innenpolitiker beider Seiten den Asylkompromiß nun erst einmal abgearbeitet: Am 5. März soll der gemeinsame Entwurf zur Änderung des Asylverfahrens- und des Ausländergesetzes in den Bundestag eingebracht werden und damit der bereits eingebrachten Verfassungsänderung, dem neuen Grundgesetzartikel 16a, folgen.

Auf Grundlage des zweiten Absatzes des neuen 16a sollen dann im Asylverfahrensgesetz neben den EG-Ländern auch Östereich, die Schweiz, die Tschechische Republik und Polen zu „sicheren Drittstaaten“ erklärt werden, zu Ländern, aus denen kein Flüchtling in die Bundesrepublik einreisen darf, ohne sein „Grundrecht auf Asyl“ von vornherein zu verlieren. Auf dem Landwege wird dann kein Flüchtling mit Anspruch auf Asyl die Bundesrepublik mehr erreichen können; und die CDU möchte darüber hinaus noch die Slowakische Republik, Ungarn und wegen des Fährverkehrs auch Skandinavien zu sicheren Drittländern erklärt sehen.

Zwar heißt es immer noch, in der SPD-Bundestagsfraktion würden sich bei der Asylrechtsänderung zwei Blöcke unvereinbar gegenüberstehen. Doch im gemeinsamen Entwurf für das neue Asylverfahrensgesetz sind sozialdemokratische Bedenken auf die genannte kleine Anmerkung zusammengeschmolzen: Die Innenpoliker der SPD zweifen noch, ob der neue Artikel 16 es „verfassungsrechtlich bedenkenfrei“ ermöglicht, über „sicherere Drittstaaten“ eingereiste Flüchtlinge kurzerhand ohne Rechtsschutz abzuschieben. Der Paragraph 34 des neuen Asylverfahrensgesetzes verbietet es nämlich den Verwaltungsgerichten, solche Abschiebungen „im Eilverfahren einstweilig“ auszusetzen. Doch auch schon der neue Grundgesetzartikel 16a will „Drittstaaten-Flüchtlinge“ laut Absatz 2 „unabhängig von einem eingelegten Rechtsbehelf“ abgeschoben sehen. Die letzten Bedenken der SPD verweisen nur darauf, daß der Asylkompromiß insgesamt verfassungsrechtlich höchst fragwürdig ist.

Die SPD hat den Asylkompromiß von Anfang an mit dem Hinweis verteidigt, daß die Drittstaaten-Regelung eigentlich nur an den Grenzen eine Rolle spiele. „Gegenwärtig stellen über 95 Prozent der Asylbewerber ihren Asylantrag nach illegalem Grenzübertritt im Inland“, schrieb etwa der niedersächsische Ministerpräsident Gerhard Schröder in seiner „Bewertung des Asylkompromisses“. Diese Flüchtlinge hätten auch auf Grundlage des Asylkompromisses weiter Anspruch auf „ein Asylverfahren mit Bleiberecht bis zum Abschluß des gerichtlichen Eilverfahrens“. Auch SPD-Parteichef Björn Engholm hat jüngst mit jenen 80 Prozent der Flüchtlinge argumentiert, die illegal in die BRD einreisen würden. Nach Bestimmungen des neuen Asylverfahrensgesetzes greift die Drittstaaten-Regelung jedoch sehr viel weiter, als die SPD-Führung zugeben möchte.

Der Gesetzentwurf legt zunächst in seinem Paragraphen 18 fest, daß an der Grenze einem asylsuchenden „Ausländer die Einreise zu verweigern ist, wenn er aus einem sicheren Drittstaat einreist“. Der folgende Paragraph 19 ermächtigt die Ausländerbehörden oder die Polizei, einen „Ausländer, der aus einem sicheren Drittstaat unerlaubt eingereist ist“, ohne Weiterleitung an eine Aufnahmeeinrichtung dorthin zurückzuschieben. Gelingt es nun einen auf dem Landweg eingereisten Flüchtling, dennoch einen Asylantrag zu stellen, und gibt er dabei pflichtgemäß Auskunft über seinen Reiseweg, so führt dies zum Abbruch des Asylverfahrens: Das Bundesamt kann dann nach Paragraph 24 des Gesetzentwurfes von vornherein auf eine Anhörung des Flüchtlings verzichten. Wird schließlich erst im Asylverfahren die Einreise des Flüchtlings über einen „sicheren Drittstaat“ bekannt, braucht das Bundesamt nicht weiter dessen Verfolgungsschicksal zu prüfen. Nach Paragraph 31 des neuen Asylverfahrensgesetzes ist in diesem Fall in der Ablehnung des Asylantrages „nur festzustellen“, daß dem Flüchtling „aufgrund seiner Einreise aus dem sicheren Drittstaat kein Asylrecht zusteht“.

Zum Beweismittel in diesem neuartigen Reisewegverfahren, das den 90 Prozent auf dem Landweg eingereisten Flüchtlingen droht, soll im übrigen auch die Habe des Flüchtlings werden: Die Behörden erhalten künftig das Recht, den Ausländer und seine Sachen nach „erforderlichen und sonstigen Unterlagen“ zu durchsuchen. Da kann dann schon eine vergessene polnische Bahnfahrkarte zum schnellen Aus im Asylverfahren führen. Für alle „sicheren Staaten“, also für auf dem Landweg eingereiste Flüchtlinge, sieht der Entwurf vor, daß die Abschiebeanordnung erst zugestellt wird, „sobald festeht“, daß die Abschiebung auch „durchgeführt“ werden kann. Die Entscheidung über einen Asylantrag soll diesen Flüchtlingen nur „zusammen mit der Abschiebeanordnung“ zugestellt werden. Hier wird blitzartigen Abschiebeaktionen der Weg bereitet. Wenn der auf dem Landweg eingereiste Flüchtling von der Ablehnung seines Asylantrages erfährt, kann er gleich auch schon seine Sachen packen.

Weil die Verwaltungsgerichte Abschiebungen dieser Flüchtlinge nicht mehr durch Eilentscheidung stoppen dürfen, wird gleichzeitig der Willkür Tür und Tor geöffnet: Glücklich könnte sich nach dem neuen Asylrecht etwa ein Flüchtling schätzen, der aus Afghanistan (kein sicheres Herkunftsland, hohe Anerkennungsquote) über Kaliningrad (kein Kontakt mit sicherem Drittstaat) per Schiff nach Mecklenburg einreisen würde. Ein solcher Idealflüchtling hätte weiter das Recht auf das bisher übliche Asylverfahren. Würde ihm aber im Verfahren versehentlich der übliche Reiseweg Polen zugeordnet, so wäre auch der Idealflüchtling gegenüber einer solchen Fehlentscheidung macht- und rechtlos. Erst mit der Abschiebeanordnung würde er von dieser Fehlentscheidung erfahren. Ihm stünde kein Rechtsmittel zur Verfügung, mit dem er seine sofortige Verfrachtung nach Polen noch verhindern könnte. Bei der Wiedereinreise aus Polen hätte er, nun Drittstaaten-Flüchtling, sein Asylrecht verwirkt.

Vor staatlicher Willkür sollen in dem Rechtsstaat Bundesrepublik eigentlich die Verwaltungsgerichte schützen. Doch auch für die Flüchtlinge aus den „sicheren Herkunftsländern“ schränken Asylkompromiß und neues Asylverfahrensgesetz die Möglichkeiten des Rechtsschutzes noch einmal drastisch ein. In einem Brief an die niedersächsische Justizministerin Heidi Alm- Merk hat der hannoversche Verwaltungsrichter Helmut Weidemann jetzt das gesamte Asylpaket als „Entmachtung der Justiz“, als „Versuch mit Charakter eines Staatsstreiches“ bezeichnet. Selbst der niedersächsischen Justizministerin galt der Asylkompromiß zunächst als „verfassungswirdriges Verfassungsrecht“, bis Gerhard Schröder ihr per Entlassungsdrohung umgehend einen Maulkorb verpaßte.

Verfassungsrechtlich bewertet wurde der Asylkompromiß jetzt im niedersächsischen Bundesratsministerium, mit dem Ergebnis: „erhebliche Bedenken“. Auch eine Zweidrittelmehrheit in Bundestag und Bundesrat kann das Grundgesetz nicht nach Gusto ändern. Nicht zur Disposition des Gesetzgebers stehen der die Meschenwürde garantierende Artikel1 des Grundgesetzes und die in Artikel 20 festgeschriebenen Grundlagen der staatlichen Ordnung. Dazu gehört, daß die Exekutive an „Recht und Gesetz“ gebunden ist. Dem korrespondiert die im Artikel 19 des Grundgesetzes festgeschriebene Rechtsweggarantie, wonach jedem – nicht nur dem Deutschen – „der Rechtsweg offensteht, wenn er durch den Staat in seinen Rechten verletzt wird“. Ohne die Rechtsweggarantie läuft die in Artikel 20 festgelegte Bindung der Exekutive an Recht und Gesetz leer, nur effektiver Rechtsschutz schützt im Zweifelsfalle vor staatlicher Willkür. Nach Auffassung der Juristinnen im Bundesratsministerium widerspricht klar der Artikel 2 des neuen 16a der Rechtsweggarantie, der Abschiebungen in „sichere Drittstaaten“ unabhängig von eingelegten Rechtsmitteln vorsieht. Diese Klausel lasse letztlich auch das Asylrecht der betroffenen Flüchtlinge leerlaufen. Außerdem definiere der Artikel nur „sichere Drittstaaten“, eine individuelle Prüfung, ob der Flüchtling tatsächlich in den Drittstaaten auch Schutz vor Verfolgung findet, lasse er nicht mehr zu. Dies sei bedenklich in Hinblick auf den Artikel 1 des Grundgesetzes, der die Bundesrepublik auch zum Schutz der Menschenwürde von Flüchtlingen verpflichtet.

Im niedersächsischen Bundesratsministerium gilt der Asylkompromiß als völkerrechtswidrig, und ähnliche Bedenken macht auch der deutsche Vertreter des Hohen Flüchtlingskommissars geltend. Walter Koisser warnt in Hinblick auf die Drittstaaten-Regelung „vor einem Dominoeffekt, der zum Zusammenbruch des internationalen Asylsystems führt“. Kettenabschiebungen in das Heimatland verstoßen klar gegen die Genfer Flüchtlingskonvention, sind völkerrechtswidrig. Eine Bundesrepublik, die sich daran beteiligt, ist selbst nicht einmal mehr ein „sicherer Drittstaat“.

Für verfassungsrechtlich bedenklich – in Hinblick auf die Rechtsweggarantie – hält man im niedersächsischen Bundesratsministerium auch den vierten Absatz des neuen Asylartikels 16a, der die Klagemöglichkeiten gegen die Abschiebung von Flüchtlingen aus „sicheren Herkunftsstaaten“ auf ein Minimum verkürzt. Dieser vierte Absatz läßt im übrigen auch jenen Flüchtlingen kaum noch eine Chance auf Anerkennung, die konsequent über ihre Reiseweg schweigen. In diesem Sinne nutzt der Entwurf des neuen Asylverfahrens jene über den Asylkompromiß hinausgehende Formulierung, die angeblich der Abschiebung von Straftätern dienen sollte, die zu mehr als drei Jahren Haft verurteilt sind.

Ursprünglich grenzte der Artikel 16 Absatz 4 den Rechtsschutz gegen Abschiebung ein bei Flüchtlingen aus „sicheren Herkunftsstaaten“ und bei solchen, deren Anträge „offensichtlich unbegründet sind“. Seit der Nachbesserung ist in dem Artikel auch von Asylanträgen die Rede, die „als offensichtlich“ unbegründet gelten, wobei es am Ende heißt: „Das Nähere ist durch Gesetz zu bestimmen.“ Dies eröffnet die Möglichkeit, durch das neue Asylverfahrensgesetz Anträge zu „offensichtlich unbegründeten“ zu erklären, auch wenn der Flüchtling in Wirklichkeit politisch verfolgt ist.

Der Paragraph 30 des neuen Gesetzes bestimmt denn auch zahlreiche Tatbestände, bei denen die politische Verfolgung nicht weiter geprüft wird, sondern gleich die Einstufung als „offensichtlich unbegründet“ erfolgt. Diese Einstufung droht allen Flüchtlingen, die die Verfahrensregeln mißachten: den Flüchtlingen, die eine falsche Identität oder Staatsangehörigkeit angeben, gefälschte oder verfälschte Beweismittel vorlegen, oder ansonsten ihre Mitwirkungsplichten im Verfahren „grob verletzen“. Zu den Mitwirkungspflichten gehört es aber auch, daß der Flüchtling Angaben über „Wohnsitze, Reisewege und Aufenthalte in anderen Staaten macht“. Allen Flüchtlingen, die keine plausible Flug- und Schiffsreise nach Deutschland erfinden können, droht damit von vornherein das Urteil „offensichtlich unbegründet“ samt schneller Abschiebung. In seiner Rechtfertigung des Asylkompromisses hatte namentlich Gerhard Schröder noch behauptet, die SPD werde „einen Ausschluß der Asylgründe unter dem Gesichtspunkt Nichtangabe des Fluchtweges“ nicht zulassen.

Zu Konflikten mit den Flüchtlingen selbst wird das neue Asylbewerberleistungsgesetz führen, das die Sozialpolitiker von SPD und Regierungskoalition erst noch beraten. Der Entwurf der Bundesregierung will den Lebensunterhalt der Flüchtlinge vollständig durch „Sachleistungen decken“, für „persönliche Bedürfnisse einschließlich Gesundheits- und Körperpflege“ sollen diese lediglich 100 Mark im Monat ausgezahlt bekommen. Die Sachleistungen können die Aufnahmeeinrichtungen im Regelfall nur durch die Ausgabe von Gutscheinen im Werte bis DM 330,– pro Flüchtling ersetzen. Die Schutzsuchenden verlieren völlig den Anspruch auf die höher liegende Sozialhilfe.

Nach dem neuen Asylverfahrensgesetz werden künftig alle Flüchtlinge nur noch eines in der Bundesrepublik hinterlassen: ihre Fingerabdrücke. Der Kompromißentwurf streicht die Ausnahmen, die bisher bei der erkennungsdienstlichen Behandlung noch gemacht wurden. Auch sämtliche Flüchtlinge, die schon an der Grenze zurückgewiesen werden, sind nun nach Paragraph 18 erkennungsdienstlich zu behandeln. Was den Kern des neuen Gesetzpaketes, die Drittstaaten-Regelung, angeht, so hat Bundesinnenminister Seiters in dankenswerter Offenheit die Behauptungen der SPD dementiert, daß von diesen Staaten aus „eine Rückführung des Asylbewerbers ohne Verfahren in seinen Herkunftsstaat nicht möglich ist“. Polen solle von der Bundesrepublik abgewiesene Flüchtlinge gar nicht aufnehmen, sondern sie mit finanzieller und administrativer Hilfe Deutschlands in ihre Herkunftsländer zurücktransportieren, erklärte Rudolf Seiters. Dies stellt klar, daß die so sicheren Drittstaaten in Wirklichkeit für Flüchtlinge höchst unsichere Staaten sind. Man hätte sie ehrlicherweise vorgelagerte Abschiebeländer nennen sollen.