■ Mit den Clintonomics auf du und du
: Salto rückwärts

Berlin (taz) – In den USA hat das Polit-Establishment eine neue Hauptbeschäftigung gefunden: das Gedankenlesen. Seit der Wahl Bill Clintons wartet alles gespannt darauf, wie wohl das Wirtschaftsprogramm des Präsidenten im einzelnen aussehen werde. Und da dieser erst am Mittwoch in seiner mit Spannung erwarteten Rede vor dem Konreß die Katze aus dem Sack lassen will, wird derzeit jede noch so knappe Äußerung aus der Clinton-Administration daraufhin analysiert und interpretiert, was die Regierung denn nun konkret vorhabe.

Doch bereits nach den zurückhaltenden Erklärungen Clintons dürfte klar sein, daß drei Wochen nach dessen Amtsantritt von den diversen Wahlversprechen nicht mehr allzu viel übriggeblieben ist. Defizitabbau, Steuerreform, Konjunkturprogramm oder Bildungswesen – überall werden Abstriche vorgenommen. So rückt jetzt auch die avisierte Steuerentlastung für den Mittelstand immer mehr in die Ferne, und Clinton will sich zudem nicht mehr an seinen Wahlkampfschwur erinnern lassen, das horrende Budgedefizit innerhalb von vier Jahren zu halbieren. Der Schuldendschungel Amerikas, der die vier Billionen US-Dollar- Marke längst überschritten hat und das unbegrenzte Sündenregister der Amtsvorgänger Ronald Reagan und George Bush fordern ihren Tribut – also müssen zur Sanierung von Staatsfinanzen und Wirtschaft nicht nur die Reichen, sondern künftig alle Opfer bringen. Clinton, der gerade bei den unter der „trickle-down-economy“ seiner Vorgänger arg gebeutelten Mittelschichten Hoffnung auf bessere Zeiten verbreitet hatte, muß nun auch seinen Wählern an den Kragen. Ursprünglich hatte Clinton vorgesehen, lediglich die Unternehmen sowie die Bezieher von Jahreseinkommen über 200.000 Dollar zu schröpfen und im Gegenzug Mittelschichtsfamilien mit unter 60.000 Dollar steuerlich zu entlasten. Damit wird es zunächst einmal nichts. Und ob es bei höheren Abgaben für Energieverbrauch, Alkohol oder Tabak bleiben wird, darauf wetten die Finanzexperten keinen einzigen Cent. Ohne einschneidende Maßnahmen aber, das weiß auch Clinton, zieht der Pleitegeier immer engere Kreise: Passiert nämlich nichts, wird in zehn Jahren die Haushaltslücke von derzeit rund 320 Milliarden Dollar auf über 650 Milliarden anwachsen und die Staatsverschuldung gar 78 Prozent des Bruttoinlandprodukts auffressen. Erwin Single