Prüfer verwechseln AKW-Rohre

■ Reaktorkontrolle durch Ungelernte und Betrunkene

Berlin (taz/AFP) – Pfusch und Mauscheleien in deutschen Atomkraftwerken sollen nach Angaben von Technikern mehrerer Firmen „an der Tagesordnung gewesen“ sein. Der Spiegel zitierte einen ehemaligen Werkstoffprüfer mit den Worten: „Wenn ich heute überlege, was da abgelaufen ist, da krieg' ich das Grausen.“ Nicht nur Röntgenbilderserien seien verschwunden. Weil die Prüfer nach Stückzahlen bezahlt wurden, kontrollierten sie vorzugsweise gut erreichbare Rohre – und die dann häufig mehrmals.

Ein Zeuge berichtet, daß die angeblichen Sicherheitskontrolleure gelegentlich sogar die Orientierung verloren und die verschiedenen Rohrsysteme nicht mehr auseinanderhalten konnten. Auch sollen Baupläne und Lageskizzen, die als Grundlage für die Röntgenkontrolle dienten, seien über Nacht mit Bleistift verändert worden sein. Als Röntgenkontrolleure seien neben anderen 18jährige Berufsanfänger nach kurzer Anlernzeit eingesetzt worden. Ein Strahlenschutzverantwortlicher beispielsweise erlernte seine Kenntnisse angeblich innerhalb von drei Tagen. Ein gelernter Kaufmann will nach eigenen Angaben als „ganz grüner Junge“ von einer Prüffirma eingestellt und nach kurzer Zeit zum Schichtleiter befördert worden sein.

Auch Alkohol war nicht verboten bei der nächtlichen Arbeit, so daß die Sicherheit der deutschen AKWs gelegentlich von Betrunkenen „garantiert“ wurde. Der TÜV und die Auftraggeber hätten die Kontrolleure nicht überprüft, sondern lediglich die Aufnahmen im nachhinein begutachtet und abgestempelt. Die Techniker der 1984 aufgelösten Firma Aweco, die über eine derartige Arbeitsweise berichten, waren nach eigenen Angaben nicht nur in Brunsbüttel und Biblis tätig, sondern auch in den Reaktoren von Krümmel, Grohnde, Philippsburg und Würgassen.

Auch ein Ingenieur aus Niedersachsen berichtet über einen abendlichen Besuch, bei dem ihm 1982 angetragen wurde, für mehrere Kraftwerkskomponenten „Unbedenklichkeitsgutachten“ auszustellen, obwohl er die Teile nie gesehen hatte und keine Unterlagen darüber vorlagen.

Erwartungsgemäß bestreiten die Reaktorbaufirmen Siemens und KWU die Zustände und behaupten, die Anschuldigungen seien „absurd“.

Die vier niedersächsischen Atomkraftwerke sollen auf Anordnung des Umweltministeriums in Hannover jetzt erneut überprüft werden. Aber auch die Ministeriumssprecherin meinte, die jetzt veröffentlichten Vorwürfe halte sie für „relativ unwahrscheinlich“.