Bedrückende Aquarelle

■ „Die Frauen vom See der duftenden Seelen“ von Xian Hunnü im Wettbewerb

Durchs Schilf, den ruhigen See mit zwei Holzplatten zerteilend, rudert eine Frau aus ihrem Dorf in die Stadt. Ein Provinzwettbewerb des Bezirks hat ihr Sesamöl mit dem ersten Preis ausgezeichnet, und die tüchtige Geschäftsfrau fährt, ihn entgegen zu nehmen. Plötzlich brechen die Wolken über ihr, das Schilf neigt sich, und sie krümmt sich, an Land gekrochen, ins Korn und schreit sich die Seele aus dem Leib.

Diese Art von Frauengestalt ist die Ikone, die uns von der Reihe chinesischer Filme, die auf der 43. Berlinale zu sehen waren, vielleicht am eindrücklichsten im Gedächtnis bleiben wird: Eine tüchtige, strenge Frau, mit zusammengezurrtem Haar und erhobenem Haupt. Einen Schwächling an ihrer Seite, lebt sie mit einem Bein im reformierten Geschäftsleben des 20. Jahrhunderts, mit dem anderen im prärevolutionären China.

Was sich in „Die rote Laterne“ in der Enge eines von aller Welt abgeschnittenen Herrschersitzes abspielte, mit einer gnadenlos aus der Vogelperspektive herabblickenden Kamera, das ereignet sich in „Die Frauen vom See der duftenden Seelen“ in einer Aquarellandschaft von bedrückender Sanftheit, die Kamera stets in schwebender Nähe.

Unter dem Tintenblau eines frühen Abendhimmels versammeln sich die Männer in einem kleinen Hausboot, sehen ein traditionelles Stück mit Mandoline und surrendem Sopran, danach japanische Karatevideos und Pornos. Jeden Tag kommt der Mann der schönen Sesammüllerin von diesen Herrenabenden betrunken nach Hause und wirft sich schwer auf sie. Sie läßt ihn mit schmerzverzerrtem Gesicht gewähren. Der Sohn, den sie mit ihm gezeugt hat, ist ein Idiot, er läuft durchs Dorf und brüllt „Will Frau, will Frau“. Für viel Geld kauft Frau Xianyang ihm schließlich Huanhuan, ein Mädchen aus ärmlichen Verhältnissen. Sie hat ihren künftigen Mann vor der Hochzeit nie gesehen, ihn nie seine Puppe würgen und kneten sehen — nun wird er sie würgen.

Xianyang hat einen Liebhaber, den Vater ihrer Tochter, die zur Schule geht. Mit einer Japanerin, die gekommen ist, um Sesamöl zu kaufen, spricht sie über Ehemänner und Liebhaber. Vor ihr bricht die starke Frau das erste Mal zusammen, als sie von den Qualen der Hochzeitsnacht erzählt, die sie als Dreizehnjährige erlebte. Und doch ist sie gerade im Begriff, einem jungen Mädchen an der Seite ihres debilen Sohnes das gleiche Schicksal zu bescheren.

Wie die Protagonisten hilflos zwischen chinesischer Tradition und japanischer Moderne stehen, verharrt auch der Film in einem Schwebezustand. Manchmal wirkt er wie eine Aneinanderreihung von Tableaus chinesischer Porzellanmalerei, dann wieder präzis und klar wie ein Bertolucci-Szenario. Seltsamerweise ist weder in „Die Frauen vom See der duftigen Seelen“ noch dem Forumsfilm „Blutiger Morgen“, der ebenfalls das Desaster der verordneten Heirat beschreibt, irgendetwas von der Kulturrevolution zu sehen — wenn man einmal von den blauen Kutten und der Mao-Währung absieht.

Daß die Ikonographie der Kulturrevolution — die unendlichen grau-grünen Massen, die Fahnenmeere und die über allem thronende Figur des Vaters — hier mit einer starken Frau und einem Schwächling als Familienoberhaupt demontiert wird, erklärt auch, warum der Film in der gleichen schwebenden Ratlosigkeit endet, mit der er begonnen hat. Ein See ist kein Fluß, kein guter Rat, kein neuer Morgen treibt vorbei, die Zeit steht still.

Xie Fei: „Die Frauen vom See der duftenden Seelen“, VR China 1992, 106 Min. Mit Siqin Gaowa, Wu Yujuan, Lei Luosheng u.a.

International: 16.2., 22.30 Uhr.