: Rose bleibt Rose
Intim ordinär und exquisit banal: Friedrichs „Rosenkavalier“ in der Deutschen Oper Berlin ■ Von Elisabeth Eleonore Büning
Silbern klingt das Glöckchen. Wieder kringelt sich süß der Zauberton ins Ohr. Wieder küssen sich zwei, kommt der Mohr und holt das Taschentuch. Und wir sitzen mal wieder da mit einem nassen und einem trockenen Auge – und haben die ganze Last mit der Lust am Falschen.
Götz Friedrich hat das alte Stück für diesmal eher konventionell in Szene gesetzt; keine Tragödie daraus gemacht und kein Lehrstück, weder schwere Fracht gestellt noch lästige Fragen. Tatsächlich stimmt beinahe alles an diesem „Rosenkavalier“. Das freilich will heißen: Nichts ist richtig. Ein Kavalier wie Milch und Blut, der wild mit dem Spielzeugdegen fuchtelt und so breitbeinig wie für eine Dame noch eben schicklich durch seine Hosenrolle stolziert. Die Rose bleibt Rose, gerade silbrig genug und ein bißchen übernatürlich vergröbert, daß man sie auch noch bis hinauf auf den zweiten Rang gut sehen kann. Baron Ochs ist ein rechter Esel, die kleine Sophie ein entzückend Kind – und die Marschallin, ach, die Grundgütige: jeder Zoll nichts als stiller Verzicht. Sie mag auf den Tag genau 32 Jahre alt sein, so wie Richard Strauss es gefordert hat. Ihr fällt auch pünktlich im ersten Akt das Spitzenhemd vom weißen Arm, wie Hugo von Hofmannsthal sich's wünschte, und sie zeigt eine „sehr schöne Hand“. Blau, so blau schimmern ihr Bett und Boudoir in dieser melancholischen Morgenstunde – im letzten Akt dann trägt sie mit Fassung und Eleganz die Farbe der Passion.
Nur ihre Stimme trägt nicht über den Graben hinweg. Dazu spielt das Orchester der Deutschen Oper Berlin am Premierenabend zu rücksichtslos dynamisch, zu grobklotzig protzig und überhaupt: viel zu laut. Keine der drei Frauenstimmen, auch nicht die metallisch jungen, sind recht zu verstehen, nicht einmal der volltönend dicke Baß des Barons dringt immer durch. Was dem Publikum am Ende zwar egal ist. Denn mögen auch manche feinen psychologischen Nuancen der Inszenierung auf diese Weise unwiderruflich verlorengegangen sein – erstens weiß jeder sowieso, was hier gesungen wird; zweitens handelt es sich bei der „Rosenkavaliers“-Psychologie ohnehin nur um landläufige Frau im Spiegel-Weisheiten (die darum natürlich nicht weniger wahr sind: mit Würde abdanken können, wer möchte das nicht? Und wer weiß nichts von den Beschwerden des eigenen Alterns – oder davon, wie grausam Jugend ist?); drittens schließlich gibt es keine Redewendung und keine Herzensregung in diesem Stück, die nicht gleich doppelt und dreifach auch vom Orchester mitgeteilt würden. Klassische Klötze sind nun einmal grob. Und das ist ja gerade das musikalisch Schöne am „Rosenkavalier“: immer saftig, immer kräftig – die ideale Oper gewissermaßen für Kurzsichtige und Harthörige.
Plot, Personnage, Zeit, Text, Musik – alles ist übertrieben falsch. Intim ordinär und exquisit banal. Verdoppelt und verzeihlich. Verziehen und vergeben eben wegen gewisser bekannt schöner Stellen. Wegen des Terzetts kurz vor Schluß zum Beispiel. Oder des allgegenwärtigen Walzers halber. Als sich der Vorhang hebt für den zweiten Aufzug, in dem die Rose überreicht werden wird, da brandet begeistert Beifall auf. Das Bühnenbild allein ist schon ein Traum, kann nicht wirklich sein: hohe Spiegel bis in den Himmel spiegeln Spiegel. Licht aus hellen Lüstern verliert sich vervielfältigt im Labyrinth. Ein roter Läufer schneidet schnurstracks wie auch mehrfach reflektiert und gebrochen den Raum in Stücke. Auf dem Läufer vorne begegnen sich die Liebenden. Sie sind ganz allein. Aber zugleich, wie die verräterischen Spiegel zeigen, ein öffentlicher Gemeinplatz, umgeben vom Gewusel aller Welt. Wie die Liebe, wie das Leben und gute Oper eben ist. Was mit dem Berliner „Rosenkavalier“, manche Mängel im Detail abgezogen, wieder einmal bewiesen ist.
Hofmannsthal/Strauss: „Der Rosenkavalier“. Regie: Götz Friedrich. Ausstattung: Gottfried Pilz und Isabel-Ines Glathar. Musikalische Leitung: Jiri Kout. Mit Karan Armstrong, Yvonne Wiedstruck, Rosa Mannion, Kurt Rydl u.a. Nächste Aufführungen: 17., 21., 24., 28. Februar und 7. März
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