■ Intervention? Nein, danke!
: Eine gefährliche Illusion

These1: Zur Beendigung der unerträglichen Greuel in Ex-Jugoslawien sollte sich die UNO zu einem militärischen Befreiungsschlag entschließen.

Falsch! Denn es ist eine Illusion, daß ein Angriff auf militärische Stellungen und Knotenpunkte oder gar Vergeltungsbombardements die Leiden der Menschen schnell beenden könnte. Vielmehr besteht die Gefahr, vor der auch der Generalsekretär der UNO, Butros Ghali, warnt, daß solche militärischen Interventionen den Krieg noch ausweiten und viele zusätzliche Opfer fordern würden.

These2: Aber wir dürfen doch nicht tatenlos zusehen!

Richtig! Statt Waffen nach Bosnien zu liefern, wie jetzt von unserer Regierung erwogen, sollten wir unsere Grenzen öffnen, um den Insassen von Internierungs- und Gefangenenlagern sowie den Flüchtlingen Zuflucht zu schaffen.

Erweiterte humanitäre Hilfe und verstärkte Unterstützung von Antikriegsgruppen in der Region sind unerläßlich. Zur Ausstattung der UNO für ihre entscheidende Vermittlungsarbeit ist beizutragen. Sinnvoll ist auch der Vorschlag, die Kriegshetze über die Medien mit den verfügbaren technischen Mitteln soweit als möglich zu behindern. Viele weitere Schritte – man denke nur an eine sinnvolle Durchsetzung des Embargos – sind diesseits von Militärinterventionen möglich. Förderung verdient schließlich der Plan, in einem Weltgerichtshof die Hauptverantwortlichen für die Völkermordverbrechen zur Rechenschaft zu ziehen.

These3: Wenn wir doch wenigstens deutsche Blauhelme nach Bosnien schicken würden, dann könnten die UN dort wirksamer arbeiten!

Falsch! Da deutsche Soldaten im Ersten und Zweiten Weltkrieg unermeßliches Leid über die Balkan-Völker gebracht haben, sind sich fast alle einig: Deutsche Soldaten haben dort weder als Blauhelme noch als Interventionstruppen etwas zu suchen. Der humanitären Hilfe der UN ist darüber hinaus nicht mit zusätzlichen deutschen Blauhelmen gedient. Ihnen fehlt es vor allem an der notwendigen Finanzierung, um ihre Möglichkeiten auszuschöpfen. Mit den bisher ausstehenden Beiträgen und einer wünschenswerten zusätzlichen finanziellen Unterstützung könnten sie wesentlich mehr leisten.

These4: Deutschland muß insgesamt mehr tun, um die ausufernde kriegerische Gewalt in der Welt einzudämmen.

Richtig! Als erstes müssen wir uns mehr anstrengen, um im eigenen Land Haß und Gewalt und konfliktschaffende soziale Ungerechtigkeiten abzubauen. Sodann müssen wir, vorab durch eigenes Beispiel, entschlossen gegen den kriegsfördernden internationalen Waffenhandel angehen. Mit deutscher Rüstungshilfe könnte Saddam Hussein weittragende Scud- Raketen gegen Israel abfeuern. Deutsche Firmen haben sein Atomprogramm gefördert und Libyens Gaddafi fast zu einer Chemiewaffen-Firma verholfen. In Dutzenden von politisch unsicheren Regionen droht der Ausbruch neuer Kriege mit Waffen aus Lieferländern, die dann in der UNO Sanktionen gegen ihre Abnehmer beschließen [...].

These6: Grundsätzlich sollte indessen die verfassungsmäßige Möglichkeit für die deutsche Beteiligung an Kampfeinsätzen im Rahmen der UNO, der EG oder der WEU geschaffen werden.

Falsch! Wir leben in einer Zeit fundamentaler Weichenstellungen. Das Drängen nach deutscher Beteiligung an Kriegsaktionen (die irreführend als „Frieden schaffend“ oder gar als „Nothilfe“ umgetauft werden) verrät den Wunsch, unsere erweiterte internationale Verantwortung vorrangig militärisch zu definieren, anstatt die gewaltigen internationalen Aufgaben der Überwindung der Armut, des Umweltschutzes und der nichtmilitärischen Krisenbewältigung voranzustellen. [...]

Vernünftige militärische Zurückhaltung bedeutet für uns weder eine Buß- oder Reueposition noch pazifistischen Fundamentalismus, erst recht nicht Drückebergerei, sondern die schlichte logische Konsequenz aus unserer Erinnerung und aus der Einsicht, daß nicht eines der großen Überlebensprobleme, die von der Weltgemeinschaft den konzentrierten Einsatz aller Energien fordern, militärisch gelöst werden kann.

Inge Aicher-Scholl, Heinrich Albertz, Andreas Buro, Stefan Heym, Margarete Mitscherlich, Horst-Eberhard Richter, Friedrich Schorlemmer, Dorothee Sölle