■ Die SPD stellt ihren Vorschlag zum Solidarpakt vor: Kunstvolle Kartenhäuser
Das Regierungslager sieht langsam schwarz, die SPD dagegen Licht am Ende des Tunnels. Während die FDP den Solidarpakt – genauer: den Bund-Länder-Anteil daran – fast schon im Vermittlungsausschuß wähnt, wachsen in der SPD maßvolle Hoffnungen auf einen Kompromiß. Maßgeblich für das jeweilige Urteil zum Lauf der Solidarpaktdinge ist dabei in erster Linie die Sicht der Beteiligten auf ihre inneren Angelegenheiten. Denn die Zwistigkeiten zwischen Liberalen und Christdemokraten halten an, während die Sozialdemokraten ihr Verhandlungspaket nunmehr fein säuberlich und im Einvernehmen geschnürt haben.
Immerhin! Hatte Parteichef Björn Engholm vor drei Wochen doch noch verkündet, er sehe wenig Grund, mit dem Kanzler weiter zu reden. Und wenig später hatte der Solidarpaktkoordinator Oskar Lafontaine nach einer Runde der sozialdemokratischen Ministerpräsidenten dafür gesorgt, daß niemand mehr wußte, ob die SPD überhaupt eigene Vorschläge zu machen hat. Nun sind soziale Gerechtigkeit und Finanzfragen wieder gut, wenn auch nicht neu sortiert: keine Kürzungen bei den sozial Schwachen, also bei Sozialhilfe, Arbeitslosen- und Wohngeld. Sparen bei den öffentlichen Haushalten nach Kräften, aber auch mehr staatliche Einnahmen durch Arbeitsmarkt- und Ergänzungsabgaben, um soziale Ungerechtigkeiten bei der Finanzierung der deutschen Einheit auszugleichen. Schließlich: Zukunftsinvestitionsprogramme für den deutschen Osten, um den Aufbau zu gestalten.
Der Verlauf der Solidarpaktdebatte hat die Ansprüche an die Weisheit der Politiker mittlerweile stark gedämpft, sozialdemokratische eingeschlossen. Es ist ja in Ordnung, wenn die SPD mit ihren Vorschlägen zum Solidarpakt die Welt nicht jeden Monat neu erfindet. Der Ruf nach der sozialdemokratischen Alternative erinnert stark an die Suche nach dem Stein der Weisen, die bekanntlich immer dann beginnt, wenn es schwer ist, den nächsten Schritt zu bestimmen. Es war eher fatal, daß die SPD solche Erwartung in den letzten Wochen geweckt hat. Das sozialdemokratische Paket mutet aus anderen Gründen äußerst schwächlich an. Kommt es denn wirklich auf heikle innersozialdemokratische Verständigungen mit Termin und Summen an, wenn die schon beim nächsten Gespräch auf anderer Ebene Verhandlungsgegenstand sind? Die SPD baut kunstvolle Kartenhäuser bei Fragen, bei denen sie nach Lage der Dinge mutig und offen Kompromisse ansteuern könnte. Ob Ergänzungsabgabe oder ein vernünftiger Solidarzuschlag, das ist keine Gretchenfrage. Die Union wartet doch fast darauf, dazu gedrängt zu werden. Auch konjunkturpolitische Abwägungen über die Terminierung von neuen Abgaben sind von begrenztem Wert, jedenfalls im Vergleich mit der verheerenden Wirkung, die anhaltende politische Unsicherheit auf den Wirtschaftsverlauf haben kann.
Und während die SPD auf die Präzisierung solcher Einzelmaßnahmen Energie im Übermaß verbraucht, bleiben tiefe Unsicherheiten und interne Differenzen bei den Fragen, an denen sich Entwicklungen entscheiden. Wieviel staatliche Industriepolitik braucht der Osten, und welche? In welcher Form gehört der ökologische Umbau in die Bund-Länder-Verhandlungen zum Solidarpakt? Die Scheu vor diesen Fragen ist verständlich, denn sie sind nicht am Reißbrett zu lösen. Aber nicht anders als die Regierungsparteien läßt die SPD einfach nicht erkennen, daß sie die Sache angemessen anpackt. Die deutsche Integration ist fraglos eine Aufgabe ungewohnten Zuschnitts, unüberschaubar ist sie jedoch nicht. Gefragt ist einfach der Mut, sich auf die nächsten Schritte zu verständigen. Tissy Bruns
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