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„Er ist einer von uns“

■ Ex-Kommunist Algirdas Brazauskas zum Präsidenten Litauens gewählt

Vilnius (taz) – Das Ergebnis war keine Überraschung. Wie in allen Meinungsumfragen vorhergesagt, stimmte bei der ersten Direktwahl eines litauischen Präsidenten eine überzeugende Mehrheit der Bevölkerung für den früheren KP- Chef Algirdas Brazauskas. Dem vorläufigen Endergebnis zufolge erhielt Brazauskas 60,1 Prozent der Stimmen, sein Herausforderer, der derzeitige litauische Botschafter in Washington, Stasys Lozoraitis, erzielte lediglich 38,1 Prozent.

Die Litauer wählten mit Brazauskas einen Mann, der ihrer Ansicht nach „Litauen besser kennt als der Kandidat aus dem Ausland“. Der 68jährige Lozoraitis hatte fast sein ganzes Leben im Exil in Rom und Washington verbracht. Brazauskas „hat mit uns gelitten und für uns gekämpft“, „er ist einer von uns, er kennt die Lage“, so heißt es vielerorts.

Lozoraitis, der nach dem Rückzieher des Chefs der nationalistischen Sajudis-Bewegung, Vitautas Landsbergis, auch von anderen konservativen Parteien als „Kandidat der Landesversöhnung“ nominiert worden war, war erst Anfang 1993 nach Litauen zurückgekommen. Während seiner Wahlveranstaltungen konnte er seine Zuhörer nicht davon überzeugen, daß er dem stagnierenden Land einen neuen Anschub geben wird. Auch mußte der oft schullehrerhaft wirkende Diplomat wiederholt eingestehen, daß „er nicht genug Zeit gehabt“ hätte, um sich ausreichend auf die Probleme des Landes vorbereiten zu können.

Vor allem die russischen und polnischen Wähler haben dem „Amerikaner“ eine klare Absage erteilt und zu über 80 Prozent für Brazauskas gestimmt. Lozoraitis konnte sich in dem traditionell rechts wählenden Kaunas mit 54,7 Prozent der Stimmen gegenüber Brazauskas behaupten.

So richtig glücklich ist in Litauen mit dem Wahlergebnis jedoch niemand. In seiner ersten Reaktion wollte Lozoraitis zwar nicht von einer „Katastrophe“ sprechen, doch müße gefragt werden, wer hinter Brazauskas stünde: „Es sind Leute, die immer noch der Vergangenheit nachtrauern.“

Man erwartet viel von dem Mann, der während der Wahlkampagne die gesamte Schuld für die katastrophale Wirtschaftslage auf die Regierung von Landsbergis schob. Doch mit einer wirtschaftlichen Wunderkur kann der Präsident nicht aufwarten. Die industrielle und landwirtschaftliche Produktion ist im vergangenen Jahr um 50 Prozent zurückgegangen, die Inflationsrate erreichte 1.100 Prozent. Der Lebensstandard in Litauen ist in den drei Jahren seit der Unabhängigkeit um 73 Prozent gesunken.

Den Kurs der wirtschaftlichen Reformen hat Brazauskas bereits nach seinem Erfolg bei den Parlamentswahlen im Oktober 92 vorgezeichnet: In einer als populistisch gewerteten Geste erhöhte die Regierung die Gehälter der staatlichen Angestellten um 20 Prozent, für die wichtigsten Grundnahrungsmittel wurde eine strikte Preiskontrolle eingeführt. Für viele WählerInnen in den ländlichen Regionen und in den mehrheitlich von Russen und Polen besiedelten Gebieten steht der Ex- Kommunist für Stabilität und menschliche Reformen. Ein Universitätsprofessor: „Die auf die Wurst warten, haben für Brazauskas gestimmt.“ Matthias Lüfkens

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