Sozis mal wieder echt solidarisch

■ Die SPD will nicht auf Kosten der Armen sparen, sondern Steuern für Besserverdienende erhöhen

Bonn (taz) – Endlich hat sie ihre Linie gefunden, die SPD. Nach einer Runde von SPD-Politikern aus Bund und Ländern zu ungewohnter Sonntagabendstunde segnete gestern abend der Parteivorstand das sozialdemokratische Paket zum Solidarpakt ab. Die wichtigsten Komponenten des Bündels: keine Zustimmung zu den Streichungsplänen bei Sozialhilfe, Arbeitslosen- und Wohngeld; mehr soziale Gerechtigkeit und mehr Geld in die Staatskassen durch den Doppelschlag einer Arbeitsmarkt- und einer Ergänzungsabgabe. Zukunftsinvestitionsprogramme für den Osten sollen die industrielle und ökologische Entwicklung in den neuen Ländern lenken. Und sparen, um alles zu finanzieren, sollen die öffentlichen Haushalte auch nach dem Willen der SPD.

Im Zentrum der sozialdemokratischen Vorstellungen stehen die Forderungen nach einer zweiprozentigen Arbeitsmarktabgabe für Beamte, Selbständige und Abgeordnete; Besserverdienende sollen ab 1.Juli mit einer zehnprozentigen Ergänzungsabgabe auf ihre Steuerschuld belegt werden. Die Einkommensgrenzen für diese Zusatzabgabe gibt die SPD mit 60.000 für Ledige und 120.000 für Verheiratete an. Dadurch sollen neun bis zehn Milliarden Mark in die Staatskassen fließen, die Arbeitsmarktabgabe würde im Jahr 6,8 Milliarden einbringen. Mit beiden Maßnahmen soll die Finanzlage verbessert und die „soziale Schieflage“ bei der Finanzierung der deutschen Einheit beseitigt werden. Die Arbeitsmarktabgabe soll die ungleich höhere Leistung der Beitragszahler der Sozialversicherungen ausgleichen. Über die Nürnberger Bundesanstalt fließen hohe Transferleistungen in den Osten, an denen Selbständige und Beamte nicht beteiligt sind. Trotz konjunkturpolitischer Bedenken hält die SPD diese Steuererhöhungen für nötig, um die Entwicklung in den neuen Ländern ausreichend zu finanzieren. Im föderalen Konsolidierungskonzept der Bundesregierung sind Steuererhöhungen erst ab 1995 vorgesehen, die Forderung nach einer Arbeitsmarktabgabe wurde auch gestern wieder vor allem von der FDP scharf abgelehnt. „Populistische Verantwortungslosigkeit“, urteilte FDP-Chef Otto Graf Lambsdorff. Ablehnend reagierten auch Kanzler und Finanzminister. Regierungssprecher Vogel meinte, er könne weder bei dem einen noch dem anderen „eine Neigung erkennen“, Steuererhöhungen vorzuziehen. Sie paßten nicht zu einer angespannten Konjunktur. Dunkel blieb Vogel, als er nach der Verbindlichkeit der Festlegung auf das Jahr 1995 befragt wurde: „Ich kann das nicht ein für allemal sagen, die Bundesregierung wird so oder so entscheiden.“ Immerhin versprach er eine milde Prüfung der sozialdemokratischen Vorschläge. Am 11. und 12. März, wenn die Länderchefs mit der Bundesregierung zur Solidarpakt- Klausur zusammentreffen, müsse man sehen, „wo man eine gemeinsame Linie finden kann und wo nicht“.

Jürgen Rüttgers, Parlamentarischer Geschäftsführer der Unionsfraktion, kritisierte das Paket als „gigantisches Steuererhöhungspaket“. Indessen werde sich die Union einer Diskussion nicht verschließen. In der CDU/CSU-Fraktion gibt es seit einigen Wochen eine kontroverse Debatte über die „soziale Schieflage“. Auch der CDU-Ministerpräsident Sachsens, Kurt Biedenkopf, steht Steuereinnahmen vor 1995 nicht ablehnend gegenüber. Er sieht für die Jahre 1993 und 94 einen höheren Bedarf der Ostländer als Finanzminister Theo Waigel. Den Finanzbedarf für den Osten ab 1995 beziffert die SPD auf 110 Milliarden DM. In dieser Frage haben sich Regierung und SPD stark angenähert.

Die SPD sieht nach Aussage von Rudolf Scharping, Ministerpräsident in Rheinland-Pfalz, in dem vorgeschlagenen Zukunftsinvestitionsprogramm von zehn Milliarden DM auch ein ökologisches Programm, weil damit vor allem Abfallentsorgung, Gewässerschutz und ähnliches finanziert werden sollen. tib Kommentar Seite 10