: Die Welt ist ein monströser Bazar
■ Mircea Daneliucs „Das Ehebett“ im Wettbewerb
Es gibt Komödien, die so gräßlich sind, daß einem das Lachen im Halse stecken bleibt. Lubitschs „To be or not to be“ ist wohl das berühmteste Beispiel für nachträgliche Wertschätzung dieser Art — dem rumänischen Wettbewerbsbeitrag „Das Ehebett“ wird es ähnlich ergehen. Der Beifall für die grauenhaft lustige Zustandsbeschreibung eines Landes im Totalausverkauf blieb spärlich.
Starker Tobak,was Daneliuc uns zumutet. Da lacht man über eine Frau, die von Kommode und Schrank springt, um ihren Fötus loszuwerden. Sterile Abtreibungszangen benutzen die Ärzte in Rumänien nämlich nur gegen Devisen — und die sind Mangelware in der Durchschnittsfamilie Potop. Der Name bedeutet zu deutsch Sintflut, die rettende Arche ist der Dollar. Für ihn wird alles verschachert. Potops Frau will das Kind nach den nutzlosen Sprungversuchen behalten, um es zu verkaufen, seine Geliebte geht zunächst auf den Strich und steigt später ins Pornofilmgeschäft ein. Die Welt ist nur noch ein monströser Bazar. Nach Moral zu fragen, kann sich keiner mehr leisten. Inmitten des Chaos, gegen das alle wie im Hamsterrad anlaufen, steht Potop, der Kleinbürger. Er zeigt als einziger Gefühle.
Mircea Daneliuc erzählt keine geradlinige Geschichte. Cinema verité verbindet er mit surreal-grotesken Szenerien, eine absurde Familiengeschichte, die von Ionesco stammen könnte, verknüpft er mit gnadenloser politischer Satire. Potop befindet sich zwischen Schnipselsalat und eingeblendeter „Bildstörung“ plötzlich in einer Irrenanstalt. Elektroschocks gibt es dort natürlich nur gegen Devisen. Später kommentiert er in die Kamera hinein das Drehbuch. Seiner Frau sticht er, ganz in Splatter-Manier, in den geblähten Bauch und rammt ihr einen Nagel in die Stirn. Eine Szene später vergibt sie ihm, mit bandagiertem Kopf und noch immer schwanger. Die unentrinnbare Zukunft in ihrem Bauch ist nicht totzukriegen. Daneliuc streift sämtliche Genres. Anders ist dem apokalyptischen gesellschaftlichen Zustand nicht beizukommen. Die Realität ist nur noch ein unüberschaubares Konglomerat aus Stilen und Themen — das Überleben ein Aberwitz.
Potop bringt sich schließlich um — im Kino, dessen Chef er lange war. Im Saal klatschen die Mitglieder der Partei „Originale Demokratie“ bei einer Versammlung im Takt. Selbst die Leinwand ist kein Ort mehr für Illusionen. Sie kracht einfach herunter und gibt den Blick frei auf Potop, der an einem Trapez baumelt, aufgehängt an einer Puppe, die seine Geliebte Stela darstellt.
Dieses groteske Finale reicht Daneliuc noch immer nicht. Im Epilog schreibt man das Jahr 2006. Aus dem malträtierten Embryo ist ein pubertierender, bebrillter Junge geworden. Stela, die mit Hilfe ihres Körpers den Sprung in ein überlebensfreundlicheres Land schaffen wollte, sitzt als eingefallene Vorstadthure am Straßenrand. Von der Stadt sind nur Bauruinen übrig. Alles ist verkauft, selbst der Traum vom besseren Leben. Der Marlboro-Schriftzug auf der Straßenbahn wirkt wie absurde Pornografie. Gerd Hartmann
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