Birth of a Nation

■ Spike Lee's „Malcolm X“ — ein Zeugungsmythos

Stars and Stripes, brennende Kreuze, grellrote Zoot-Suits und eine perfekt plazierte Zitatensammlung — Spike Lees Epos über Malcolm X wirkt wie das Inventar eines Black College-Museums. Dabei ist das Projekt enzyklopädisch angelegt: Nicht nur soll der Zick-Zack-Kurs einer komplizierten schwarzen Biographie akkurat nachgezogen, die 60er aus der Sicht der Schwarzen reevaluiert werden — erzählt werden soll die Geburt einer Nation nach 400 Jahren Sklaverei, Vertreibung und Unterdrückung.

Die Dringlichkeit liegt auf der Hand. Denzel Washington erzählt, daß er während der Dreharbeiten zum Ausbruch der Unruhen nach Los Angeles fuhr: „Wir dirigierten den Verkehr, wir halfen beim Aufräumen. Wir hatten die Kontrolle übernommen, zum ersten Mal in der Geschichte. Nicht, als wir zündelten und plünderten, aber beim Aufräumen.“ Die erste Rede von Malcolm X, die mächtig ertönt, als noch der Vorspann über die amerikanische Flagge läuft, wird unterbrochen von Aufnahmen des berüchtigten Videos, das zeigt, wie Rodney King letztes Jahr in Los Angeles von einer Gruppe weißer Polizisten zusammengeschlagen wurde. Burn, Baby, Burn — die Flagge fängt Feuer.

Gegen die Sklavenmentalität, gegen den Mythos des treuen „House Niggers“, hilft nur die Erinnerung an die eigene Geschichte. Ein Sklave hat keine Geschichte, keinen Namen. X steht für die Namenlosen, für die Vorväter in Afrika, die für die African Americans von so existentieller Bedeutung ist. Aus dieser Überzeugung entstanden die Black Studies Center, die schwarze Beiträge zur Weltkultur suchen, beweisen wollen, daß alle letztlich von Schwarzen abstammen. Eine Schlüsselszene des Films ist im Museum of Natural History gedreht, zwischen riesigen Elephanten und Dinosauriern: Sie sind nicht ausgestorben, sie waren die ersten, genau wie wir.

Bevor Malcolm X bei diesem Mythos landete, hieß er Malcolm Little, war als Sohn eines Priesters in Omaha, Zeuge eines Ku-Klux- Clan-Angriffs auf das väterliche Haus. Die Familie wurde auseinandergerissen, Little nahm Kellnerjobs an. Spike Lee's Film kommt erst ins Rollen als Malcolm und seine Freund Shorty in ihren schreiend roten Zoot-Suits zu Ragtime-Music in einem riesigen Tanzsaal hotten. Rasante Schnitte, Kamerarunden begleiten die beiden ins Gangstermilieu, aber als Malcolm im Staatsgefängnis sitzt, verliert der Film an Tempo und holt es nie wieder ein. Was man in Spike Lee's New Yorker Filmen nie erlebt hat: Über weite Strecken ist dieser Film langweilig.

Bekanntermaßen findet X im Gefängnis zur Selbstreinigung, zum Islam und zu seinem Mentor Elijah Muhammed, einem Patriarchen alten Zuschnitts, der seinen Zögling Malcolm schließlich verstoßen wird. Wichtig ist nicht die Zitatsammlung, die die letzten beiden Stunden Film füllt, sondern der Gebrauch, zu dem er auffordert. Einer der Koredner Malcolms wird gespielt von Reverend Al Sharpton, einem Pfarrer aus Brooklyn, einer der größten antisemitischen Hetzer der schwarzen Gemeinde. „Die Juden “, so rufen sie, „wollen ihre Schuld an der Situation der Schwarzen abstreiten, indem sie von Antisemitismus reden“. Das Gegenmodell, für das der Redner den lautesten Beifall bekommt, heißt: Totale Trennung der weißen und der schwarzen Ökonomie.

Wer oben sein wird, wenn sich Black Urban Professionals und Afrikaner aus Zimbabwe zu einer Nation zusammentun, das bleibt in „Malcolm X“ so offen wie die Frage, was eigentlich Angela Davis zu den geschlossenen Männerreihen der islamischen Brüder zu sagen hätte. Do the Right Thing: nach Nelson Mandela stehen vier Schulkinder der neunziger Jahre auf und sagen stolz „Ich bin Malcolm X. Mariam Niroumand

Spike Lee: „Malcom X“, USA 1992, 200 Min.

17.2.: Zoo Palast: 11.30 Uhr; Urania: 21.00 Uhr; International: 22.30 Uhr