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■ Zwei Arten, einen Regierungsbeginn zu interpretierenKaltstart für Bill Clinton?

Vor der brisanten Fernsehansprache Clintons waren sich alle schon fast einig: kaum gestartet, schon gestolpert. Ein Eiertanz sei seine Jugoslawienpolitik, meinten die Kommentatoren. Ein Trauerspiel seien seine Versuche, eine Justizministerin zu küren, fanden die Feministinnen. Nur halbentschlossen sei er für die Homosexuellen in der Armee eingetreten, sagten die Schwulen. Vor die kritische Presse traue er sich wohl gar nicht, moserten die Journalisten. Für unseren Klaus Kinkel hatte er nur ganze zehn Minuten Zeit. Und zuviel Fastfood ißt er auch.

Bill Clinton durchbricht früh die goldene Regel, alle US-Präsidenten hätten zu Beginn ihrer Amtszeit einen verbrieften Anspruch auf Honeymoon, wo ihnen mit traumhafter Leichtigkeit alles gelingt. Auch im europäischen Handbuch für erfolgreiche Staatsmänner steht, wer sich Repekt verschaffen wolle, müsse umgehend nach der Wahl zeigen, wer die Nummer eins ist. Seltsam verhalten präsentiert sich dagegen die neue Administration in Washington. Sie hören genau zu, die neuen Leute im Weißen Haus, das wurde zu ihrem Markenzeichen. Kaltstart für Clinton?

Man kann die Ereignisse seit dem Stabwechsel im Weißen Haus auch anders lesen. Zum Beispiel so: Da hatte der Republikaner George Bush dem neuen Präsidenten ein vergiftetes Präsent zum Amtsantritt vor die Tür gelegt, einen neuen Waffengang mit dem Irak – und der Vietnamkriegsverweigerer Clinton beschäftigt umgehend die Armee mit den Problemen ihrer diskriminierten schwulen Minderheit. Oder: Die übriggebliebene Supermacht, deren innenpolitische Probleme anzugehen Clinton wahlentscheidend versprochen hatte, droht durch den Krieg im ehemaligen Jugoslawien in Differenzen zu Rußland und in Konkurrenz zu den Europäern zu geraten – und setzt auf Koordinierung und Absprache, statt allen eine Weltmachtslektion à la Bush zu erteilen. Oder: Die diversen Interessengruppen, die das Projekt „Time for Change“ getragen hatten, drängen nach gewonnener Wahl auf sofortige Erledigung ihres speziellen Weltproblems und erfahren exemplarisch am Fall der beiden Ministerkandidatinnen: Alles muß stimmen, auch das Verhältnis zur anderen diskriminierten Gruppe und zum Gemeinwesen. Und was den Umgang mit den Medien betrifft: Klug kann es sein, sehr klug, sich unter Umgehung der alten Star-Multiplikatoren erst einmal direkt ans Wahl- und TV-Volk zu wenden, wenn man Neues vermitteln will.

Nehmen wir einmal an, Clinton und Gore hätten vor ihrem eigenen Auftritt auf der Bühne der Welt aus dem Schicksal des anderen großen Hoffnungsträgers dieses Jahrzehnts, dem des Michael Gorbatschow, Lehren gezogen. Sie hätten als den Kernpunkt seines Scheiterns wohl ausmachen können, daß das Reformkonzept der Perestroika an der Basis der sowjetischen Gesellschaft nicht verstanden und nicht akzeptiert wurde, sondern im Sperrfeuer der alten Nomenklatura unterging, im Gestrüpp der alten Multiplikatoren zerschlissen wurde. Bill Clinton, so hört man, hat als nächsten öffentlichen Schritt einen Dialog mit Kindern angesetzt. Eine Politik im Dialog, das ist provozierend für die alten Eliten der öffentlichen Meinung, es ist aber die konsequente Umsetzung zukunftsgerichteter Politik unter den Gesetzen einer Mediendemokratie. Ein riskantes Spiel – aber es verspricht spannend zu werden in Old America, es beschäftigt die Phantasie der Menschen. Antje Vollmer

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