■ Interview: Ruth Seifert zum Krieg gegen Bosniens Frauen
: Vergewaltigung – Kulturzerstörung

taz: Im allgemeinen heißt es, Frauen spielen in Kriegen die bedauerliche Rolle des Opfers. Sie gehen allerdings davon aus, daß Frauen das eigentliche Material sind, mit dem Krieg geführt wird. Das scheint sich jetzt in Bosnien- Herzegowina zu bestätigen.

Ruth Seifert: Wissenschaftliche Untersuchungen zeigen, daß Frauen mitunter ganz explizite Ziele militärischer Operationen sind. Die Mehrzahl der Kriege nach dem Zweiten Weltkrieg sind „schmutzige“ Kriege, Kriege also, in die die Zivilbevölkerung systematisch verwickelt wird. In diesen Kriegen geht es auch darum, die Kultur des Gegners zu zerstören. Frauen sind dabei ein zentrales Angriffsziel, weil sie eine besondere Stellung in der Familienstruktur haben, weil sie die Familie zusammenhalten. Und die Familie ist eben in den meisten Gesellschaften der Dreh- und Angelpunkt für den Zusammenhalt der Kultur. Daher hat das physische und psychische Vernichten von Frauen einen ganz besonderen Stellenwert in neuzeitlichen Kriegen.

Die Vergewaltigungen in Bosnien-Herzegowina sind also ein militärisches Mittel zur Vernichtung muslimischer Kultur?

Es ist klar, daß in Bosnien ein systematischer Krieg gegen die Zivilbevölkerung geführt wird. Und es gibt Hinweise darauf, daß genau diese Strategie verfolgt wird: die Zerstörung der Kultur. Es geht um den systematischen Charakter der Kriegshandlungen: Wenn eine Stadt erobert wird, werden zunächst die Kulturdenkmäler zerstört, in einem zweiten Schritt werden die Intellektuellen gefangengenommen und getötet, und der dritte Schritt sind die Vergewaltigungslager für Frauen.

Sehen Sie eine Möglichkeit für Frauen, sich im Krieg vor Vergewaltigungen zu schützen?

Ich weiß auch nicht, was der Weisheit letzter Schluß ist. Ich bezweifle allerdings, daß die bisher praktizierte Strategie der „weiblichen Friedfertigkeit“ funktioniert. Friedfertigkeit scheint auch keine Lösungsmöglichkeit zu sein – im Gegenteil. Sie hat bislang, das belegen historische Untersuchungen, nie richtig funktioniert. Sie wurde immer ganz wunderbar in Kriege integriert, weil sie in das Bild des „Weiblichen“ paßte und weil sich die „weibliche Friedfertigkeit“ ganz gut in Kriege integrieren läßt.

Nach dem Motto: Frau bleibt in ihrer Friedfertigkeit passiv und verharrt damit in der Opferrolle?

Sie bleibt passiv und mischt sich nicht in die Auseinandersetzung ein. Mir wurde schon vorgeworfen, das wäre ein militaristischer Standpunkt. Aber ich möchte lediglich die Strategie der „weiblichen Friedfertigkeit“ als Friedensstrategie in Frage stellen.

Auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawien gibt es beispielsweise eine Tradition der Kämpferinnen. 1858 soll ein Frauenbataillon am türkisch-montenegrinischen Krieg teilgenommen haben. Und diese Tradition hat sich fortgesetzt. Sehr viele Frauen, die im Zweiten Weltkrieg an der großen Mobilisierung teilnahmen, wurden zwar nicht als Kämpferinnen bezeichnet. Doch jede, die in irgendeiner Weise auf der Seite der PartisanInnen war, kann letztlich als Kombattantin betrachtet werden. Insgesamt sollen sich etwa zwei Millionen Frauen an der Mobilisierung beteiligt haben. Unmittelbar nach dem Krieg schloß die rein männliche Militärführung in Jugoslawien Frauen allerdings mit sofortiger Wirkung weitestgehend aus dem Militär aus, um zu einem konservativen Frauenideal zurückzukehren.

Würden Sie dafür plädieren, daß Frauen sich aktiver beteiligen, sich aktiv zur Wehr setzen?

Wenn ich mir vorstelle, ich wäre in der Situation, in der jetzt Frauen in Bosnien sind – und das ist ja eine ganz konkrete Situation, die nicht mehr mit abstrakten Friedensdiskussionen gelöst werden kann –, dann würde ich eine Waffe haben wollen.

Frauen sollten sich also bewaffnen?

Das möchte ich zur Diskussion stellen und nicht von vornherein als nicht praktikabel ausschließen. Ich wünsche mir aber auch ein größeres Interesse von Frauen am Innenleben des Militärs. Innerhalb der Frauen-Friedensbewegung wird das Militär per se abgelehnt. Das Militär ist eine zu große, mächtige und gesellschaftlich wichtige Institution, als daß man sie einfach ignorieren könnte. Frauen müssen sich in das Gewaltmonopol einmischen. Das Militär ist eine Machtinstitution, in der Frauen überhaupt nichts zu sagen haben.

Sind Sie für die aktive Beteiligung von Frauen im Militär und an Kampfhandlungen?

Die Streitkräfte sollten auf freiwilliger Basis – und ich möchte betonen: auf freiwilliger Basis – für Frauen geöffnet werden, ohne Beschränkungen. Frauen müßten allerdings auch sämtliche militärischen Führungspositionen offenstehen. So daß eine Frau, die sich, aus welchen Gründen auch immer, militärisch betätigen will, es auch tun kann.

Mir wird von Friedensforscherinnen oft entgegengehalten, daß dies eine Militarisierung von Frauen nach sich ziehen würde. Das ist ein moralisches Argument, das bei anderen Machtinstitutionen in der ganzen Gleichstellungsdiskussion nicht angeführt wird. Ich wäre mir nicht so sicher, ob die Beteiligung von Frauen am Militär tatsächlich auf eine verstärkte Militarisierung hinausliefe. Ich könnte mir vorstellen, daß dadurch möglicherweise die gesellschaftlichen Konstruktionen von Männlichkeit und Weiblichkeit aufgesprengt werden.

Im Golfkrieg wurden – das sorgte letztes Jahr in den USA für heftige Debatten – US-Soldatinnen von männlichen GIs vergewaltigt. Die direkte Beteiligung von Frauen an Kriegen scheint also weder ein Schutz für Frauen, noch bricht die gesellschaftliche Vorstellung von Männlichkeit auf.

Es ist wahrscheinlich kein Schutz davor. Dabei muß aber auch gesehen werden, daß die Zahl der Soldatinnen noch relativ gering ist, in der amerikanischen Armee liegt sie so um die 12 bis 13 Prozent.

Würden Sie eine militärische Intervention im ehemaligen Jugoslawien befürworten?

Ich persönlich hielte eine militärische Intervention im Sinne eines Eingreifens von Verbänden für falsch. Vor allem weil keineswegs die politischen Möglichkeiten ausgenutzt sind. Und auch die humanitäre Hilfe spottet bislang jeder Beschreibung. Wir müßten sämtliche Möglichkeiten humanitärer Hilfe ausschöpfen, bevor diese Riesensummen an Geld, die nötig wären, um militärisch zu intervenieren, in Form von Armeen in das Kriegsgebiet geworfen werden.

Friedensforscher schätzen, daß für eine Aktion „Balkansturm“ 400.000 Soldaten für ein Jahr benötigt werden. Die Verluste ohne die Toten in der Zivilbevölkerung werden auf 100.000 veranschlagt. Das heißt: 100.000 tote Soldaten. Die Verluste in der Zivilbevölkerung noch gar nicht mitgerechnet. Darüber hinaus sind auch im ehemaligen Jugoslawien massive ökologische Belastungen zu befürchten, beispielsweise wenn infolge von Kriegshandlungen hochgiftige Substanzen freigesetzt werden.

Hinzu kommt die besondere Kriegssituation im ehemaligen Jugoslawien: die gewohnten „Regeln des Krieges“ sind nicht gewährleistet. Es gibt keine klar erkennbaren Frontverläufe, keine klar erkennbaren Kombattanten, es ist nicht offensichtlich, wer eigentlich kämpft. Aus militärischer Sicht spricht einiges dafür, daß eine militärische Intervention zu einem Blutbad führen würde. Interview: Karin Flothmann

Ruth Seifert ist wissenschaftliche Rätin am Sozialwissenschaftlichen Institut der Bundeswehr in München