IG Metall steht ratlos vor Stahlkrise

Der Vorstand signalisiert eine Wende: Vom Kampf um alle Stahlstandorte ist keine Rede mehr/ Von der Basis hagelt es Kritik/ Franz Steinkühler drängt auf nationale Stahlkonferenz  ■ Von Walter Jakobs

Rheinhausen (taz) – Die Führungsspitze der IG-Metall ist gestern wegen ihrer passiven Haltung im Stahlkampf von der Basis massiv unter Druck gesetzt worden. Die von dem IG-Metall-Vorsitzenden Franz Steinkühler referierte gewerkschaftliche Antikrisenstrategie wurde von den etwa 200 Betriebsräten und Vertrauensleuten aus allen deutschen Stahlstandorten mit großer Zurückhaltung aufgenommen. Vielen Gewerkschaftern war die Rede des Vorsitzenden angesichts der dramatischen Situation zu lau. Auch der angekündigte Marsch nach Bonn reiche nicht aus und komme zu spät, hieß es in der anschließenden Aussprache.

Nach den Referaten der Führungsspitze, so gestand der IGM- Bevollmächtigte von Hattingen, Otto König, „bin ich recht ratlos“. Der Dortmunder Hoesch-Betriebsratsvorsitzende Werner Naß formulierte es noch drastischer: „Jungs, ihr seid zu spät dran. Wir saufen ab hier im Revier. Mir fehlt der Aufschrei für die nächsten Tage.“ Sein Betriebsratskollege Norbert Bömer: „Uns brennt doch schon alles unter dem Hintern.“ Jetzt sei der Vorstand gefordert, sofort die Vertreter der deutschen Stahlbetriebe zusammenzurufen und bundesweite Aktionen einschließlich Arbeitsniederlegungen auf den Weg zu bringen. Angesichts von Aufsichtsratssitzungen bei Hoesch-Krupp planen die Dortmunder Stahlkocher für die Nacht von Mittwoch auf Donnerstag „die Nacht der 1000 Lichter“, mit der die Bundesstraße 1, die zentrale Verkehrsader des Reviers, blockiert werden soll.

Nach den Referaten ist klar, daß sich die IG-Metall-Führung die in den Betrieben aufgestellte Forderung nach dem Erhalt aller Standorte nicht mehr zu eigen macht. Statt dessen ist nur vom Erhalt des „Stahlstandortes Deutschland“ die Rede. Im Mittelpunkt der Rede von Steinkühler stand die Kritik an der Bundesregierung – nicht das Aufzeigen von Möglichkeiten der gewerkschaftlichen Gegenwehr. Die Kohl-Regierung habe „jämmerlich versagt“ und dafür gesorgt, daß „das Gespenst der Systemkrise“ unübersehbar sei. Der IGM-Chef forderte von Bonn ein „nationales Stahlkonzept“ und eine „abgestimmte europäische Antikrisenpolitik“. Es gelte die Ansatzpunkte zur sozialen und regionalen Gestaltung des strukturellen Wandels aus den vergangenen Stahlkrisen aufzunehmen. Als „offensive Elemente“ nannte Steinkühler Beschäftigungspläne und -gesellschaften, um „den Übergang vom Stahlstandort zum Industriestandort“ einzuleiten.

Angesichts der „größten Existenzkrise der Branche“, so das für Stahl zuständige Vorstandsmitglied Dieter Schulte, müsse die EG-Kommission jetzt die „manifeste Krise“ nach Artikel 58 des Montanvertrages ausrufen. Geschähe das, würden die Produktionsmengen und Preise europaweit für alle Unternehmen behördlich vorgeschrieben. Der Glaube, „die Stahlkrise ließe sich mit marktwirtschaftlichen Mitteln lösen“, bezeichnete Schulte als „gefährlichen Irrtum“. Die Stahlkonzerne leisteten sich „statt sinnvoller Kooperation einen beinharten Konkurrenzkampf“. Dieser „Wahnsinn“ müsse gestoppt werden. Steinkühler räumte auf die Kritik hin ein, angesichts der Stahlkrise selbst „ratlos“ zu sein. Es „wäre wohlfeil, so zu tun, als hätten wir Rat anzubieten. Wir haben nichts anzubieten.“ Er hoffe aber, „daß die Gewerkschaftsgeschichte eine lückenlose Geschichte des Widerstands bleibt“.