Vergewaltigung als Kriegsspielregel

Die Bundeswehr verurteilt die systematischen Vergewaltigungen in Bosnien/ Einen Zusammenhang zwischen Krieg, Militär und Vergewaltigungen sieht die Hardthöhe allerdings nicht  ■ Von Karin Flothmann

Berlin (taz) – Für Oberstleutnant Ulrich Twrsnick sind die Vergewaltigungen in Bosnien-Herzegowina klipp und klar Verbrechen und haben nichts mit militärischer Strategie zu tun. Kategorisch stellt der Sprecher der Streitkräfte fest, „wenn ich Psychoterror ausübe, weil ich ganze Landstriche entvölkern will, dann ist das keine militärische Taktik“.

Andere Sprecher der Hardthöhe sind da verhaltener. Angesprochen auf die systematische sexuelle Gewalt gegenüber muslimanischen Frauen in Bosnien-Herzegowina, sind sie nur sehr zögerlich bereit, Stellung zu beziehen – zumindest, was die vielfach belegte Verbindung zwischen Krieg, Militär und Vergewaltigungen betrifft. Einig ist man(n) sich auf der Hardthöhe darüber, daß die massenhaften Vergewaltigungen ein „abscheuliches Verbrechen marodierender Banden sind, das vor Gericht gehört“. Doch bevor die Herren mit dem Rangabzeichen des Oberstleutnant ihre Empörung äußern, machen sie darauf aufmerksam, dies sei kein „offizielles Statement der Bundeswehr“, sondern die ganz „persönliche Meinung“ als „Staatsbürger, Christ, Ehemann und Vater“.

Spätestens seitdem die US- Amerikanerin Susan Brownmiller in den 70er Jahren ihr Buch „Against our will“ veröffentlichte, ist innerhalb der feministischen Diskussion unumstritten, daß eine enge Verbindung zwischen Krieg, Militär und sexueller Gewalt besteht. Die Münchener Militärsoziologin Ruth Seifert (siehe auch Seite 12) vertritt die These, in kriegerischen Auseinandersetzungen sei die Mißhandlung von Frauen ein Teilstück männlicher Kommunikation. Und diese Form der Kommunikation durchziehe alle Kriege.

Belegt ist das vor allem für die Kriege unseres Jahrhunderts. Ob in Korea, Vietnam oder im Golfkrieg, stets wurden Berichte von sexueller Gewalt durch Angehörige der Armeen, von Gruppenvergewaltigungen durch Soldaten bekannt.

Und auch die Einrichtung von Bordell-Lagern, in denen Frauen gezwungen werden, den Militärs zu sexuellen Diensten zu stehen, sind nicht erst eine Erfindung serbischer Streitkräfte und Milizionäre. Eine Zeugenaussage in den Protokollen des Nürnberger Kriegsverbrecher-Prozesses belegt: In Smolensk eröffnete während des Zweiten Weltkriegs die deutsche Heeresleitung in einem Hotel ein Bordell für Offiziere, in das russische Frauen und Mädchen getrieben wurden. Vergewaltigungen gehören daher für Ruth Seifert zu den Spielregeln des Krieges.

Doch gegen solch „pauschale“ Aussagen verwehrt sich die Hardthöhe. Zwar war einem der Herren mit dem Rangabzeichen des Oberstleutnant bekannt, daß Vergewaltigungen in erster Linie von Eroberungsarmeen ausgeübt würden und zwar vorwiegend gegen Kriegsende. Doch sexuelle Gewalt als militärische Taktik? Nein! Ein anderer Sprecher meint hingegen, Vergewaltigungen seien „sicherlich nicht mehr Instrumentarien eines regulären Krieges“. Was in Bosnien-Herzegowina geschehe, könne man nur „Kriegsverbrechen nennen“.

Der Sprecher der Streitkräfte, Ulrich Twrsnick, wehrt sich gleichzeitig vehement gegen das Bild vom „entfesselten Mann, der sich im Kampf so richtig gehen läßt“. Immerhin gebe es das Kriegsvölkerrecht von Den Haag, dem jeder Soldat verpflichtet sei. Das Kriegsvölkerrecht regelt die Behandlung von Kriegsgefangenen, aber auch die von ZivilistInnen im Kriegsfall. „Deportationen, Vergewaltigungen und ethnische Säuberungen“ wie in Bosnien seien dagegen keine militärische Handlung, sondern „international anerkannte Verbrechen“. Sollte ein Soldat den Befehl erhalten, zu vergewaltigen, und damit also ein Verbrechen auszuüben, so dürfe dieser Befehl nicht befolgt werden. Dies würde jedem Mitglied der Bundeswehr, egal ob dem Offiziersanwärter oder dem Rekruten, im Pflichtunterricht zum Kriegsvölkerrecht beigebracht.

Entscheidend für Twrsnick ist die „Staatsphilosophie, das Rechtsempfinden, die Erziehung“; Maßstab für das, was in einem Krieg geschehe, müsse daher die Ethik, müßten die Menschenrechte sein. Seiner Meinung nach funktioniere der Schutz der Zivilbevölkerung in Kriegen eben dort nicht, wo die „ethische Ausbildung und Reife“ nicht ausreiche. Das ehemalige Jugoslawien also ein Land ohne „ethische Reife“?

Selbst der Generalinspekteur der Bundeswehr habe, laut Twrsnick, vor kurzem deutlich gemacht, wenn so etwas wie in Bosnien geschehe, dann handele es sich bei den Tätern nicht um „Soldaten, sondern um Verbrecher“. Doch was meint Generalleutnant Klaus Naumann „persönlich“ dazu? In der neuesten Ausgabe des Nachrichtenmagazins Focus äußert sich der Generalinspekteur in knapper Kürze zur neuen Bundeswehrplanung und seinen Sorgen bezüglich des Verteidigungsetats. Naumann, so verlautet aus seinem Büro, sei wahrlich mit „ganz anderen, brennenden Themen belegt“. Bosnien und die Vergewaltigungen seien „kein Bundeswehrthema“.

Allein der Militärdekan des evangelischen Kirchenamtes der Bundeswehr, Peter Blaschke, gab auf Anhieb eine offizielle Stellungnahme ab, ohne darauf zu verweisen, er spreche jetzt als „Staatsbürger“, „Vater“ und „Christ“. Sein Amt verurteilt die Vergewaltigungen auf das schärfste. Nach Blaschkes Einschätzung sei sicher, daß „in jedem Krieg die Sieger mit den Besiegten nicht zimperlich umgegangen sind“. Doch in Bosnien- Herzegowina würden Vergewaltigungen auch eingesetzt, um „planmäßig gegen eine ganze Volksgruppe vorzugehen“.