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Eingriff in Freiheitsrechte

■ Justizbehörde will U-Haft-Dauer heraufsetzen / Strafverteidiger empört

heraufsetzen/Strafverteidiger empört

Hamburgs Justizsenatorin Lore- Maria Peschel-Gutzeit sitzt die Medienschelte des vergangenen Jahres noch tief in den Gliedern: „Hamburger Justiz läßt Mörder laufen!“ titelte die Boulevardpresse. Hintergrund der Kampagne: Zwei angeklagte Tankstellenräuber, die bei einem Raubüberfall einen Mann erschossen haben sollen, mußten auf freien Fuß gesetzt werden. Das Gericht war wegen Überlastung nicht in der Lage, ihnen innerhalb der gesetzlichen Frist von sechs Monaten den Prozeß zu machen. Insgesamt 13 mutmaßliche Kapitalstraftäter mußten 1992 aus demselben Grund aus der Haft entlassen werden.

Damit soll nach dem Willen der Justizbehörden-Chefin künftig Schluß sein. Über eine Bundesratsinitiative will die Senatorin eine Verlängerung der zulässigen U-Haft auf neun Monate erwirken. „Diese Regelung soll aber nur für Mord, Totschlag oder Sexualverbrechen gelten“, so Behördensprecher Nikolaus Berger. Peschel-Gutzeit hofft, die durch Arbeitsüberlastung der Großen Strafkammer aufgetretenen „bösen Überraschungen“ künftig verhindern zu können.

Nach dem Gesetz ist das Oberlandesgericht als Haftprüfungsinstanz derzeit gezwungen, sogar den Haftbefehl gegen einen Mörder nach sechs Monaten U-Haft auszusetzen, wenn dem Angeklagten bis dahin nicht der Prozeß gemacht worden ist. Ausnahmen gibt es nur, wenn beispielsweise noch umfangreiche Ermittlungen andauern, die einem schnellen Prozeßbeginn entgegenstehen, oder wenn die zu erwartende Haftstrafe die Dauer der U-Haft bei weitem überschreitet.

Bei Hamburgs StrafverteidigerInnen rufen derartige Pläne Unmut hervor. Andreas Beuth: „Es ist ein Unding, daß wegen Personalmangel die Gesetze geändert werden.“ Die Heraufsetzung der U-Haft-Dauer auf neun Monate sei „total willkürlich“. Beuth: „Irgendwann wird man dann sagen, die U-Haft soll 12 Monate andauern dürfen.“ Wenn die Justiz die Prozesse nicht mehr bewältigen kann, dann sei es vielmehr ihre Aufgabe, mehr Richterstellen für die Große Strafkammer zu schaffen.

Grundsätzliche Kritik äußert auch Juliane Huth aus dem Vorstand des Republikanischen Anwaltsvereins. Oftmals sei die Arbeitsüberlastung der Gerichte hausgemacht, weil „uneffektiv“ gearbeitet werde. „Bürokratie darf sich nicht auf die Menschenrechte niederschlagen“, mahnt Juliane Huth: „Gerade im Freiheitsrecht kann Personalmangel nicht plötzlich dafür herhalten, die Rechte des Untersuchungsgefangenen einzuschränken.“ Die U-Haft sei heute schon für viele eine Tortur, obwohl U-Häftlinge eigentlich wegen der Unschuldsvermutung als „Hotelgäste“ im Gefängnis zu behandeln seien. Kai von Appen

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