Somnambules Medium

■ Die Berlinale ehrt den Schauspieler Conrad Veidt

Die „Nachtseiten der Natur“, das Dämonische, Abgründige, wollte man von ihm sehen, die Auswüchse der neu entdeckten Psychopathologie, die zuckende, kokainblasse Nervosität des Expressionismus. Conrad Veidt, der gebürtige Berliner, wäre am 22. Januar 100 Jahre alt geworden. Er besuchte zunächst die Max-Reinhard-Schauspielschule und hatte seine ersten Bühnenauftritte in funzligen Fronttheatern des Ersten Weltkriegs. Bekannt wurde er in Deuschland aber erst durch die Aufklärungs-und Sittenfilme Richard Oswalds: Als gequälter, desperater Voyeur („Tagebuch einer Verlorenen“, 1918), als dekadenter Bourgois („Dida Ibsens Geschichte“, 1918), als rauschgiftsüchtiger Großstädter, und in „Anders als die Anderen“,1919 als einer der ersten Schwulen im deutschen Film. Perversität und Virtuosität waren damals noch gekoppelt: Veidt spielt einen hochsensiblen, unter seiner „Neigung“ leidenden Geiger, der an der Intoleranz seiner Umgebung zugrundegeht. Ein Jahr später gab er das somnambule Medium in Wienes „Das Cabinet des Dr. Caligari“.

Der Expressionismus entdeckte das Genre des phantastischen Filmspiels, das auf Stoffe der deutschen Romantik zurückgriff. Der „Student von Prag“ und andere, die ihre Seelen verkauften und ihr Spiegelbild verloren, waren die Protagonisten dieses Genres. Veidt war ihr Mann. Er konnte eine Spannung, ein Mysterium ewig halten, ohne es preiszugeben; stets mehrdeutig wie ein Prisma, war er eine ideale Projektionsfläche: man konnte ihn, deutschnational, für ein „Produkt jüdischer Filmseelen“ halten, für ein Schulbeispiel der Hysterieforschung oder für einen Doktor Faustus.

Obwohl Goebbels, der ihn gern im Land gehalten hätte, zugesagt hatte, seine Frau Lily Preger, eine Halbjüdin, werde nicht verfolgt, verließ Veidt Deutschland 1933. In England engagierte ihn Lothar Mendes für die Rolle des Josef Süss Oppenheimer in seinem Film „Jew Suss“ (1934), der die Geschichte eines jüdischen Hoffinanziers erzählt, der einem dekadenten Kurfürsten dient und schließlich für die Prasserei des Hofstaats gelyncht wird. Während Veidt die Geschichte des Süss als eine Art faustische Tragödie eines zwischen Aufklärung und mystischer Religiösität hin-und hergerissenen Menschen spielt, dichtet sie Veit Harlan einige Jahre später zum antisemitischen Hetzstück par excellence um, übertroffen nur noch von „Der ewige Jude“. Mariam Niroumand

Ignaz Bubis, der Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, wird zur Vorführung von „Jew Suss“ heute abend um 18.15 im Filmpalast sprechen.