: „Das Gewicht der Welt“
■ Gentleman Gregory Peck in neunzehn Teilen – Eine Retrospektive würdigt das filmische Lebenswerk des Hollywoodstars
Was das sei, fragt der kleine Junge seinen Vater bei einem Besuch in New York. Die Statue von Atlas, der das Gewicht der Welt auf seinen Schultern trägt, antwortet der Vater, es ist Gregory Peck. „That's what grandma say's you're doing!“ ruft der Junge daraufhin aus. Diese Charakterisierung aus Pecks achtem Film, Elia Kazans „Gentleman's Agreement“ (1947), hat sich im Lauf seiner Karriere immer mehr erhärtet: Gregory Peck ist die Autoritätsperson par excellence, ernsthaft und integer, unser aller Gewissen.
Ob als liberaler Anwalt („To Kill A Mockingbird“), Wissenschaftler („Arabesque“, „The Chairman“), amerikanischer Botschafter in London („Das Omen“), NASA-Kontrolloffizier („Marooned“) oder gar als amerikanischer Präsident („Amazing Grace and Chuck“) – stets trug er seine Bürde mit Würde. Und wenn er in eine Uniform schlüpfte, was er erstaunlich oft tat, nicht nur in Kriegsfilmen wie „Twelve O'Clock High“, „Pork Chop Hill“ oder „The Purple Plain“, sondern auch in historischen Abenteuerfilmen wie „Capitain Horatio Hornblower“ oder „The Guns of Navarone“, als Armeepsychiater („Captain Newman, M.D.“), Kavallerieoffizier („Only the Valiant“), U-Boot-Kapitän („On the Beach“) oder als Geheimdienstoffizier in Berlin des Kalten Krieges in „Night People“ – dann hatte man nie das Gefühl, daß er seine Uniform brauchte, um Autorität zu verkörpern. Vielmehr hinterließ er den „Eindruck angeborener Würde“, wie Tony Thomas es in seiner Peck-Monografie charakterisierte.
Für „langweilig“ haben nicht wenige Kritiker diese Seriosität erklärt. Als Peck 1966 in Stanley Donens Hitchcock-Hommage „Arabesque“ in die Schuhe Cary Grants schlüpfte, der im Jahr zuvor mit Donen „Charade“ gemacht hatte, fiel der Vergleich natürlich zu Ungunsten Pecks aus. In der Tat, wo Grant hinter seiner Würde immer wieder verspielt sein konnte, sich selber zum Gegenstand des Lachens machen konnte, ohne dabei je lächerlich zu wirken, da schien bei Gregory Peck jenseits der Seriosität eben nichts zu sein. Grant war der Flaneur, der sein Geld nebenbei verdiente und hauptsächlich das Leben genoß, während Peck sich primär über seine Arbeit definierte – als Müßiggänger war er schlicht unvorstellbar. Da wäre er nur unruhig auf- und abgelaufen, hätte die Schultern hochgezogen, immer wartend auf das Klingeln des Telefons mit der erlösenden Nachricht, daß man ihn brauche.
Gerade jene Rolle, die ihm – nach vier Nominierungen – den begehrten „Oscar“ einbrachte, scheint das zu bestätigen: sein Rechtsanwalt Atticus Finch in „To Kill a Mockingbird“ (1962) ist von erschreckender Eindimensionalität, ein überlebensgroßes Vorbild, das dem Zuschauer zuweilen die Luft zum Atmen nimmt. Daß ihm diese Rolle seine liebste ist und er „alles von mir selber“ hineinsteckte, scheint das Verdikt zu erhärten. Andererseits kann man sich seiner Ausstrahlung kaum entziehen, wenn er als Anwalt, der im amerkianischen Süden einen Farbigen verteidigt, zu seinem Schlußplädoyer anhebt: „In diesem Land sind unsere Gerichte die großen Gleichmacher“, sagt er da, „vor unseren Gerichten sind alle Menschen gleich geschaffen. Ich bin kein Idealist, der an unsere Gerichte und an unser Jurysystem glaubt, denn für mich ist das kein Ideal, sondern eine lebendige, funktionierende Realität.“ Da ist er wieder unser aller gutes Gewissen, einer, der dazu geboren wurde, die unangenehmen Arbeiten für uns zu erledigen.
Der ganze Film ist erzählt aus der erinnernden Perspektive seiner Tochter, gerade sechs Jahre, als die Handlung sich zuträgt. Das macht Pecks Figur noch größer, denn neben dem liberalen Anwalt ist er noch ein treusorgender Vater, der seine beiden Kinder nach dem Tod seiner Frau allein aufzieht. Diese doppelte Autorität erleichtert andererseits die Identifikation mit ihm, bringt uns über das Familiäre die Richtigkeit seines beruflichen Ethos nahe. Befragt, woher die Person Gregory Peck diese Ideale habe, verwies er auf die Zeit der Depression, in der er aufgewachsen ist, und auf die New- Deal-Politik des damaligen Präsidenten Franklin D.Roosevelt, eine Politik, „die die Armen und Schwachen nicht ausgrenze“.
So ist es auch nicht verwunderlich, daß Jahrzehnte später sein Name auf einer Liste mit angeblichen Feinden der Nixon-Administration auftauchte. Denn Peck, der über seine Rolle als Atticus Finch einmal geäußert hat, seine größte Befürchtung sei gewesen, den hohen Erwartungen an diese Figur nicht hundertprozentig gerecht zu werden, ist auch im realen Leben die moralische Instanz, die sich in der Leinwandrolle kristallisierte. 1971 initiierte er als Produzent die Verfilmung des Theaterstücks „The Trial of the Catonsville Nine“, das von Menschen erzählte, die als Protest gegen den Vietnam-Krieg öffentlich Wehrdienstpapiere verbrannten und dafür vor Gericht gestellt wurden. Ein Drittel des Budgets von 300.000 Dollar brachte Peck selber auf, den Rest gaben ihm Freunde.
Atticus Finch mag die Quintessenz des Peck-Images sein, aber ihn auf diese Rolle einzuengen, wäre eine unzulässige Verkürzung. Denn der „Mann im grauen Flanell“ (so ein charakteristischer Filmtitel von 1956) hatte oft auch eine dunkle Unterseite, die im Gedächtnis der Kinogänger jedoch von seinem guten Aussehen überlagert wurde. Schon seine frühen Rollen für Alfred Hitchcock präsentieren ihn als Mann mit einem unbewältigten Kindheitstrauma („Spellbound“, 1945) oder als glücklich verheirateten Anwalt, der den Reizen einer Klientin erliegt („The Paradine Case“, 1948). Konsequenter noch wird diese Demontage in den Filmen von Henry King betrieben, mit dem Peck bei der Twentieth Century Fox zwischen 1949 und 1959 sechsmal zusammenarbeitete. In „The Gunfighter“ ist er der desillusionierte Revolvermann, dem sein Ruf so sehr vorauseilt, daß sich jeder junge Heißsporn mit ihm schießen will. „He doesn't look so tough to me“, heißt es da über ihn, „That's where the trouble starts.“ Und in „Twelve O-Clock High“ schickt Peck die Männer seine Fliegerstaffel in den Luftkampf gegen Nazi-Deutschland, scheinbar ungerührt die Verluste registrierend, bis sich am Ende die aufgestauten Spannungen in Form einer vollkommenen Erstarrung Bahn brechen. In Untersicht erfaßt ihn die Kamera, apathisch auf einem Stuhl sitzend und die Welt um sich herum nicht mehr wahrnehmend. Auch in anderen Filmen blitzt, manchmal nur für Momente, ein anderer Peck auf. Kaltherzig spricht er als „Mann im grauen Flanell“ über die Mutter seines unehelichen Sohnes, Selbstgerechtigkeit scheint bei seinem Anwalt in „Cape Fear“ immer wieder durch.
Vor dem Hintergrund dieser Darstellungen kann man sich vorstellen, daß Peck seine Differenz zwischen biederem Äußerem und inneren Abgründen hätte wunderbar nutzen können, um in der Rolle des KZ-Arztes Joseph Mengele die „Banalität des Bösen“ aufzuzeigen. Aber diese Figur (in dem Film „The Boys from Brazil“, 1978) muß seinen eigenen Auffassungen so zuwider gewesen sein, daß er sie nur durch explizites Spiel darstellen konnte, durch ein übertriebenes Chargieren, das sich einfügt in den Trash-Plot der Geschichte von lauter geklonten Übermenschen, die das Vierte Reich aufbauen sollen.
Umgekehrt verlieh die Würde, mit der er seine Rolle als amerikanischer Botschafter spielt, der entdecken muß, daß sein Adoptivkind ein Sohn des Teufels ist, dem Big- Budget-Trash „The Omen“ (1976) eine Seriosität, die dem Film mit seiner Abfolge genüßlich zelebrierter Exekutionsszenen nicht zukam. Sie zeigte allerdings auch, daß der Name Gregory Peck, trotz einer Serie von Kassenflops Ende der sechziger, Anfang der siebziger Jahre noch als Anreiz für das Publikum funktionieren konnte. In „Other People's Money“ (1991) genügte allein seine Besetzung als Industrieller, um den Zuschauer davon zu überzeugen, welche Seite im Recht und welche im Unrecht war. Frank Arnold
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