Pfff, Zsss, Kch

„Leck mich am Arsch, Marie“: Steht uns ein analer Megatrend ins Haus?  ■ Von Detlef Kuhlbrodt

Auf Reisen sieht man häufig seltsame Dinge, die sich oft erst viel später als zeittypisch erweisen. Als ich vor fast zwei Jahren anläßlich der Öffnung der polnischen Grenze auf dem Markt in der polnischen Grenzstadt Slubice war, fiel mir zum erstenmal eine sehr seltsame Musik auf, mit der die Händler die Frankfurter Einkaufstouristen begrüßten. Gutgelaunt lärmten Stimmungssongs über den Platz: „Du altes Arschloch/ Du lebst ja auch noch/ Du altes Warzenschwein/ Dich kriegen wir auch noch klein/ Du altes Arschloch/ Du lebst ja auch noch/ Du alter Idiot/ Dich schlagen wir tot.“

Anstatt beleidigt zu sein, reagierten die deutschen Kunden eher geschmeichelt. Gern kauften sie die Kassetten, die mit nackten blonden Cover-Frauen für sich warben und Titel trugen wie „Lustige Wildsauhits“, „Der Suff und der Puff“, „feuchtfröhliche Soldatenlieder“ oder „Leck mich am Arsch, Marie“. Der fröhliche Kampfsong „Du altes Arschloch“ paßte recht gut zu den Begleiterscheinungen der polnischen Grenzöffnung: den deutschen Kids, die polnische Touristen mit Steinen empfingen; und zu den zahlreichen Fotografen, die die Kids zum Hitlergruß animierten, denn: „Eine Wildsauparty/ die muß lustig sein/ wer nicht lustig ist/ der ist ein dummes Schwein.“

Vor ein paar Monaten auf einem Flohmarkt in Wismar begegneten mir die „Lustigen Wildsauhits“ zum zweiten Mal. Im Kopf verbanden sich die munteren Party-Töne mit einer gutgelaunten deutschen Jugend, die allabendlich unter dem stimmungsvollen Beifall der Anwohner ein Asylantenheim belagerte: „Blunz, Blunz, Blunz/ jetzt sind wir unter uns/ Jetzt ziehn wir uns die Hosen aus/ und stecken den Arsch zum Fenster hinaus/ Blunz, blunz, Blunz/ jetzt sind wir unter uns.“

So wäre sie eben, die deutsche Volksmusik: sexistisch, analfixiert, und autoritätssüchtig – dachte ich. Über die Stimmung im Land sagten die „Arschlochhits“ aber nichts aus, eine Randerscheinung, wenn auch eine unangenehme – dachte ich.

Dann fand ich einen Katalog der Hamburger T-Shirt-Firma „Loonies“ im Innenteil der Berliner Stadtzeitung Zitty.

Im Gegensatz zu den Arschloch-Songs wenden sich die im Katalog angepriesenen Hemden eher an die westdeutsche Designerjugend, Leute, die der Umweltproblematik aufgeschlossen gegenüberstehen. „In unserer Siebdruckerei verwenden wir ausschließlich ungiftige Wasser- oder bleifreie Plastisolfarben“, heißt es stolz im Katalog, der übrigens aus „chlorfrei gebleichtem Papier“ besteht.

Das lustige Loonies-T-Shirt- Design war aber dann doch eine Art Bebilderung der debil-aggressiven Fröhlichkeit der Arschlochlieder: „Aus dem Weg! Hier kommt ein Arschloch“, heißt es da weiß auf schwarz auf einem sportstudiogestählten Männerkörper. „Ich bin Scheiße“, freut sich die braungebrannte Freundin des Grinsemannes. „Ich bin Scheiße“ kostet übrigens 29,90 DM.

Auch auf anderen schönen Loonies-T-Shirts geben Menschen Auskunft über ihre Vorlieben. „The Sperminator“, das Männer- T-Shirt zur frauenfeindlichen Technoband, mischt sich ins Nachtleben westdeutscher Discotheken und trifft auf die Frau mit den „Pimmelnasen“ (39,90 DM). Am Rande sitzen die Hemdmotive „Pfff“, „Zsss“ und „Ksch“ und schauen zu. „Ksch“, „Pfff“ und „Zsss“ sind drei Hundchen. „Ksch“ onaniert am Hosenbein seines Herrchens, „Zsss“ lutscht gemütlich am eigenen Schwanz, und „Pfff“ furzt fröhlich in die Gegend. Lustig, das!

Getrennt marschieren, gemeinsam schlagen, könnte man sagen, denn allerorten trifft man inzwischen auf ostentative Vermischungen von Selbstverachtung und Aggression nach außen, auf eine extreme Gefühlsambivalenz, die um so lauter und aggressiver einen Genuß behauptet, je eingeschränkter die eigene Genußfähigkeit ist. Der Verbraucher haßt sich („Ich bin Scheiße“), er verachtet die anderen, die seiner seltsamen Lust nicht folgen („wer nicht lustig ist/ der ist ein dummes Schwein“) und er verachtet die Dinge, die er verbraucht („Hau weg den Scheiß“) oder als „nice Scheiß“ (so hieß die Weihnachtsgeschenkempfehlungskolumne in der taz) verschenkt.

Der Zeichen sind viele, die auf einen analen Megatrend deuten: zur Freude aller Sauberkeitsfanatiker zeigte das Lieblingsnazibild der Medien vieltausendmal einen Sieg-Heil-Rostocker, der sich vor dem brennenden Aylantenheim in die Hose pißte; viel Anklang findet der „Exkreminator“ des Comiczeichners „Tom“, der unachtsamen HundehalterInnen befiehlt, die „Scheiße“ ihrer Hunde aufzuessen.

Beliebt bei vielen war das alternative „Scheißbuch“, und: „Analverkehr“ sei der „Deutschen liebstes Sex-Hobby“, reportiert, ja befiehlt nicht nur die St. Pauli Revue, sondern auch das „trend-fax“ vom Februar (mit 28 Prozent Platz zwei der vom „Wiener“ als „Perversion“ denunzierten Sexpraktiken). Immer häufiger bekennen mündige Bürger die Verachtung, die sie für sich und ihr Tun haben und denunzieren sich auf den Kontaktanzeigenseiten diverser Zeitungen als „Lutsch- und Lecksklaven“, die auf den „Blasbefehl“ warten.

Irgendwie paßte es da ganz gut, daß „Wohlthat's Versand“ nicht nur diversen „freizügigen“ Sexkram, sondern auch das Buch „Hitler – Genie oder Verbrecher?“ in seinem Programm führt; und daß der 31jährige Neonazi Thomas Dienel, dem man seit ein paar Monaten versucht, wegen rassistischer Propaganda die passiven Grundrechte zu entziehen, noch im Frühjahr 1990 Geschäftsführer der „Deutschen Sexliga“ in Thüringen war.