■ Mit Atombomben auf du und du
: Ungewollte Atomtests

Berlin (taz) – Ein Teil der in der Ukraine lagernden Atomwaffen ist offenbar in einem derartig schlechten Zustand, daß Strahlenunfälle nicht mehr ausgeschlossen werden können. Eine Gruppe von GUS-Generälen stellte beim Besuch des Raketenstützpunkts Perwomajsk in der Südukraine erschreckende Wartungsmängel an den dort stationierten SS-24 Raketen und ihren Atomsprengköpfen fest. Die Bomben für die modernsten strategischen Raketen im GUS-Arsenal würden in viel zu großer Zahl auf engem Raum gelagert. Das Lager bestrahle seine Umwelt mit fast 1.000 Mikroröntgen pro Stunde.

Der ukrainische General Alexej Kruskschow beklagte laut BBC, die russischen Soldaten hätten die Waffen nicht vernünftig gewartet. Routineinspektionen, die schon vor zehn Monaten hätten stattfinden müssen, seien immer noch nicht gemacht. Auch die Systeme, die einen Mißbrauch der Atombomben verhindern sollen, funktionierten nicht mehr zuverlässig.

In der Ukraine stehen nach Angaben von Otfried Ischebeck vom Hamburger Institut für Friedensforschung insgesamt 176 sogenannte strategische Systeme mit 1.650 Atomsprengköpfen. „Die Sprengköpfe sind, soweit die Informationen gehen, jeweils von den Raketen getrennt gelagert“, so Ischebeck. Die Ukrainer sind nach wie vor auf russische Experten für ihre Überwachung angewiesen. „Den Einsatzbefehl kann nur der russische Präsident geben, die Ukraine besitzt die Codes nicht“, so Ischebeck.

Verwundert zeigte sich der Friedensforscher, daß gerade bei den 21 Meter langen SS-24 Raketen Probleme auftreten. Die 46 Raketensysteme dieses Typs seien erst in den achtziger Jahren in Dienst gestellt worden. Sie können je 10 Atombomben mit einer Sprengkraft zwischen 100.000 Tonnen normalem Sprengstoff bis 550.000 Tonnen TNT tragen.

Die größte Strahlengefahr geht nach Ischebecks Meinung dabei von der mangelhaften Kühlung der Atomsprengköpfe aus. Die Sprengköpfe enthalten angereichertes Uran oder Plutonium und müßten wegen der Wärmeentwicklung des strahlenden Materials ständig gekühlt werden. Wenn sie auf zu engem Raum gelagert würden, sei möglicherweise eben dies nicht mehr ausreichend gewährleistet. Gewartet werden müßten die Sprengköpfe schon wegen des radioaktiven Gases Tritium, daß bei modernen Atombomben die Sprengkraft erhöht. Das Tritium muß alle paar Jahre ausgewechselt werden. Hermann-Josef Tenhagen