Multikulturalität kann schmerzhaft sein

■ Colloquium zur „Kommunikation in der multikulturellen Gesellschaft“

Die multikulturelle Gesellschaft besteht keineswegs aus Friede, Freude, Tsatsiki, sondern ist eine ziemlich schmerzvolle und konfliktreiche Angelegenheit. Im Colloquium „Identität und Kommunikation in der multikulturellen Gesellschaft“, in dem unter anderem ein deutscher Inder, ein französischer Türke, ein deutscher Chinese und eine griechische Deutsche miteinander diskutierten, machten die TeilnehmerInnen diese These zur lebendigen Erfahrung.

Daß die interkulturelle Kommunikation – unabhängig davon, ob sie sich im Milieu der Stinknormalen oder der wohlmeinenden Intellektuellen abspielt – eine äußerst schwierige Angelegenheit ist, machten der Chilene Daniel Orellana und die Deutsche Ute Reumermann deutlich. In ihrem Forschungsprojekt hatten die beiden deutsche und ausländische FlüchtlingsbetreuerInnen aus fünf Berliner Beratungszentren zusammengebracht und deren Diskussionsstil untersucht. In den ersten Sitzungen, so mußten sie feststellen, hätten sich die AusländerInnen sehr schnell untereinander solidarisiert und von den Deutschen eine vehemente Verteidigung gegen die zunehmenden rassistischen Angriffe eingefordert. Diese wiederum reagierten mit „teilnehmender Betroffenheit und bedingungsloser Akzeptanz der Kritik“. Dieses „Überverständnis“ kann jedoch schnell kontraproduktiv umkippen: Überforderte sind „vermindert präsent“. Der Kommunikationsprozeß sei erst dann wirklich produktiv geworden und jenseits der Generalisierungen von „den Deutschen“ und „den Ausländern“ verlaufen, resümmierten die ForscherInnen, nachdem sich eine der Deutschen diesem Spiel des schlechten Gewissens verweigert habe.

Noch schwerer haben es die lebendigen Produkte der Multikulturalität, die Kinder aus gemischten Ehen: Bei ihrer schwierigen Identitätsfindung erleben sie wahre Zerreißproben. Für seinen Vortrag zur „Erfahrungsseelenkunde von birassischer Identität“ hatte der Deutschchinese Thomas Teo auch die Erfahrungen von schwarzen Deutschen ausgewertet. Nach dem Ersten Weltkrieg sei ihnen „nach dem Mauleselprinzip“ Unfruchtbarkeit angedichtet worden, nach dem Zweiten seien sie nicht als rassisch Verfolgte anerkannt worden. Aufgrund diskriminierender Erfahrungen entstünde bei ihnen schon im Kindesalter „das Gefühl der Differenz“. Das Lied „Schwarzbraun ist die Haselnuß, schwarzbraun bin auch ich“ sei ihr regelmäßig im Mund steckengeblieben, zitierte er eine Afrodeutsche. Wenn überhaupt, dann hätten die Betroffenen erst in einem jahrelangen Kampf die schmerzvollen Spaltungen – „äußerlich bin ich Afrikanerin, innerlich Deutsche“ – überwinden und eine individuelle Identität jenseits aller Lager finden können.

„Identität erfolgt über Interaktion“, stellte hier die deutsche Griechin fest. „Bin ich unter Deutschen, gelte ich als solche, bin ich unter Griechen, gelte ich als Griechin. Wie sollen wir hier etwas Neues bilden?“ Der französische Türke hatte sich selbst gar nur dadurch retten können, daß er die Identität „und all diese verdammten Kategorien“ für sich ablehnte: „In einem Buch von Sartre konnte ich lesen: ,Ich lebe in der Zeit und unter Menschen.‘ Also habe ich eine Existenzberechtigung, auch wenn mein Dasein keine Vorgeschichte hat.“ Er habe jedoch „so gut wie keine Hoffnungen“, daß Forschungsprojekte hier neue Ansätze bieten könnten: „Schon die Sprache ist rassistisch und historisch aufgeladen.“ Auch die wissenschaftlichen Methoden seien oft unbewußt eurozentristisch, merkte der deutsche Inder an.

Multikulturalität, meinte der Chilene wie zum Fazit, sei „im Grunde noch gar nicht geboren“. usche