Die Läuse auf dem Kopf von Freud

Kongreß der „Neuen Gesellschaft für Psychologie“/ Ist die Wissenschaft „heimlich homosexuell“?  ■ Aus Berlin Ute Scheub

Die Wissenschaft, sagt Gerhard Vinnai, sei „eine heimliche homosexuelle Veranstaltung“. Diese freche These des ehemaligen Kapitalismus- und heutigen Patriarchats-Kritikers aus Bremen hielt die rund 400 TeilnehmerInnen des 2. Kongresses der „Neuen Gesellschaft für Psychologie“ jedoch nicht davon ab, von Sonntag bis Mittwoch zahlreichen wissenschaftlichen Colloquien und Vorträgen zu frönen. Daß dieser noch recht kleine Bundesverband vor zwei Jahren in wissenschaftlicher und politischer Kritik an der traditionell orientierten „Deutschen Gesellschaft für Psychologie“ gegründet worden war, widerspiegelten auch die Themen: Um das Geschlechterverhältnis ging es, um die Trümmer des postmodernen Subjekts, die Ost-West-Problematik, die psychische Befindlichkeit in Zeiten globaler Katastrophen oder die multikulturelle Kommunikation. Und nicht zuletzt auch um die Kritik „an der herrschenden Psychologie mit ihrer rein quantitativen experimentellen Forschung und ihrer Verobjektivierung des Menschen, statt ihn als Subjekt zu Wort kommen zu lassen“, wie die Vorstandsmitglieder Eva Jaeggi und Thomas Leithäuser es formulierten.

Der Sozialpsychologe Gerhard Vinnai hatte sich den Titel „Die Leugnung der Geschlechterdifferenz“ ausgesucht. Diese nämlich, so Vinnai, bestimme unbewußt „die Denkform immer entscheidend mit“. Schon Freud habe erkannt, daß die ersten intellektuellen Gebilde eines Kindes „immer“ mit dem Unterschied zwischen den Körpern zu tun hätten. Die ersten positiven oder negativen Erfahrungen legten fest, wie jemand später „auch mit allen anderen Differenzen umgeht“. Auch die Frankfurter Schule habe bestätigend herausgefunden, daß rechtsradikale und antisemitisch eingestellte Männer eine extrem problematische Beziehungen „zu den Frauen und den eigenen weiblichen Anteilen haben“.

Doch trotz dieser Erkenntnisse gehe die etablierte Psychologie nach wie vor davon aus, daß der Geschlechterunterschied bei ihren wissenschaftlichen Experimenten keine Rolle spiele: „Das Theoriemonster hat kein Geschlecht.“ Dabei orientierten sich schon jahrhundertelang Männer fast ausschließlich an Männern. Diese „gleichgeschlechtliche Betriebsamkeit“ sei in der philosophischen Tradition der Ablehnung des Weiblichen entstanden: Schon in der Antike dominierten die homosexuellen Philosophen, im Mittelalter lebten sie im Zölibat, und auch in der Neuzeit wollten die meisten von ihnen aus Angst vor der weiblichen Verführungskraft „nichts mit den Frauen zu tun haben“. Statt dessen pflegten sie, wie „Hegel und Schelling, Freud und Fließ, Marx und Engels, Horkheimer“, ihre engen Männerfreundschaften.

Vinnais Folgerung: Die heimliche homosexuelle Veranstaltung Wissenschaft, die die Differenzen zwischen den Subjekten einebnen wolle, sei „auf der Flucht vor der Weiblichkeit“. Allerdings sei es ein Fehler der Feministinnen, sie deshalb als „männlich“ zu denunzieren: Da sie ja die Geschlechterdifferenz leugnen müsse, sei sie „noch nicht einmal männlich“. Der Fingerzeig galt womöglich auch der Frankfurter Psychoanalytikerin Christa Rohde-Dachser, die Sigmund Freuds Männerfantasien auseinandernahm. Dessen zentrale Figur Ödipus, so begann sie, habe in einem symbolischen Bild die Macht des Matriarchats zerbrochen: Ödipus „löste das Rätsel der Sphinx und stürzte sie in den Abgrund“. Damit errang „das männlich konnotierte Ich“ die Herrschaft über „das weiblich konnotierte Unterbewußtsein“. Mit dem den Frauen angedichteten Penisneid habe Freud fürderhin einen „phallischen Monismus“ errichtet, der einzig dem männlichen Genital einen Wert zumaß.

Die „Weiblichkeitskonstruktionen“ von Freud und anderen Psychoanalytikern, befand die Herausgeberin der Buchreihe „Psychoanalyse der Geschlechterdifferenz“, seien „in erster Linie Abwehrfantasien“: „Das Weibliche besitzt dabei eine Art Containerfunktion, wo der Mann sein nicht Gelebtes, seine Ängste und Wünsche deponiert.“ Heraus kämen dabei unter anderem die bekannten Bilder wie die heilige Madonna, die Hexe oder die Femme fatale. Statt diesen Quatsch fortzusetzen oder in feministischer Manier so umzukehren, daß die Frauen als die besseren Menschen dastünden, solle die Psychoanalyse lieber „die Abwehrfunktion der Weiblichkeits- und Männlichkeitskonstruktionen aufzeigen“. Dann werde der Rätselheld Ödipus alias Freud auch die Frage der Sphinx anders beantworten: „der Mensch, Mann und Frau, du und ich“.

Ironischerweise zeigte sich in der Diskussion ausgerechnet der Patriarchatskritiker Vinnai am meisten beunruhigt davon, daß die Männer ihren eigenen Mangel fälschlicherweise bei den Frauen angesiedelt hatten. „Was fehlt Ihnen denn?“, erkundigte sich besorgt die Vortragende. „Der Mangel als erotischer Motor. Die Frau muß den Penis erotisch besetzen, der Penisneid muß ein Stück weit akzeptiert werden“, forderte Gerhard Vinnai entschieden. Ein anderer Mann vermochte nicht mehr zu erkennen, warum Frau Rohde- Dachser denn dann überhaupt noch bei der Psychoanalyse verbleibe. Seine Methode sei nun mal eine fruchtbare, erwiderte sie: „Ich erkenne mich gerne als Laus auf dem Kopf von Freud wieder.“