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Schwitzkastennummer

■ Detlev Buck jetzt im Wettbewerb

Kipp ist ein bißchen beschränkt. Kriegt die Wörter manchmal nicht richtig raus, vor allem die mit einem Konsonanten am Anfang. Er redet trotzdem gern. Most, sein dicker Bruder, ist wortkarg dagegen. Sagt höchstens mal: Da fahr ich nicht hin. Nur bis wohin wir fahren. Oder: Das hätte nicht nötig getan. Lesen können beide nicht.

Ihr Analphabetismus hat seinen Grund. „Du kannst in Deutschland nur ein Roadmovie mit Leuten drehen, die nicht lesen können. Die anderen kapieren die Schilder und sind in sechs Stunden da, wo sie hin wollen“, sagt Detlev Buck. Die Fahrt geht von Münster nach Mecklenburg. Dort haben Kipp und Most Omas Häuschen geerbt. Aber dann kommt Viktor dazu, ein Rotarmist, der nach Hause will. Er droht mit seiner Kalaschnikow. „Wir können auch anders“ ist eine deutsch-deutsche Odyssee: Drei Männer auf dem Flachland im langsamstem Roadmovie der Filmgeschichte.

Landstraße. Nacht. Ein Jeep kommt entgegen. Er blendet, die Straße ist eng. Bedrohlich wummern die Celli. Das Licht gleißt. Immer lauter, immer heller. Dorfkneipe. Tag. Eine Beerdigungsgesellschaft sitzt schweigend beim Leichenschmaus, im Nebenzimmer traktieren die Helden den Glücksspielautomaten: „Drücken. Viktor. Gut. Jetzt die Zitrone. Nicht die Kirsche“. Das ist Bucks Stärke: Er verwandelt das Banale, den alltäglichen Kleinkram, das, was man hundertmal erlebt, aber worauf man nie geachtet hat, in richtiges Kino. Bucks bisherige Filme zeichneten sich durch provinziellen Charme, durch Behäbigkeit und Bauernschläue aus, von „Erst die Arbeit und dann“ bis „Karniggels“. In der Beschränkung lag seine Stärke. In „Wir können auch anders“ ist sie zur Masche verkommen. Vielleicht liegt es an Ko-Autor Ernst Kahl, daß Bucks trockener Witz diesmal zur Blödelei verflacht.

Der Zweikampf der Brüder: eine Schwitzkastennummer. Kipps Sprachhemmung: ein ermüdender Running Gag. Der Kommissar mit der Kippe im Mund: ein billiger Comic. „Wir können auch anders“ wirkt insgesamt so, als habe Otto „Spiel mir das Lied vom Tod“ mit „Im Lauf der Zeit“ gekreuzt.

Es ist paradox: Jahrelang haben wir uns darüber beklagt, daß Regisseure wie Buck mit wenig Geld nur kleine Filme drehen dürfen und von Festivals wie der Berlinale mit Ignoranz gestraft werden. Jetzt kommt er groß raus, läuft im Wettbewerb und liefert seinen schlechtesten Film. Anscheinend kann der deutsche Film nur anders, solange man ihn nicht läßt. Natürlich haben wir uns trotzdem ganz köstlich amüsiert. Christiane Peitz

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