: Drücken bis Milch kommt
■ „La Vida Lactea“ von Juan Estelrich (Panorama)
Buntes, Allzubuntes gleich zu Beginn: Die Kamera überfliegt ein Anwesen mit Palmen und massig reichen Menschen. Partykleider, Small Talk, Braungebranntes — die reinste Dallas-Szenerie. Bis der Blick auf den total altgewordenen Mickey Rooney fällt, der einen melancholischen Millionär namens Barry zu mimen hat. Als Barry es vor Trübsal und Schwäche kaum noch schafft, die vielen Kerzen auf dem Geburtstagskuchen auszublasen, ist klar: Mit dem Mann geht es entweder bald zu Ende — oder es geschieht ein Wunder.
Letzteres betritt die Szene in Gestalt von Marianne Sägebrecht alias Aloha, aus irgendwelchen Gründen als Haushälterin auf dem Märchenanwesen eingestellt. Ohne große dramaturgische Vorbereitung wackelt sie in den Film herein, und ebenso umstandslos zeigt sie Barry auf Geheiß ihre Brüste. Das ist natürlich ein Glücksversprechen, aber Barry ist erst zufrieden, als er ein bißchen gedrückt hat, und Milch gekommen ist.
Womit die große Sehnsucht des Barry Cortes Reilly endlich einen Gegenstand und der Film zu Titel und Metapher gefunden hat. Juan Estelrichs „La Vida Lactea/The Milky Life“ ist die Geschichte einer Altersregression, die sich sinnfällig am Urobjekt der Begierde entzündet.
Kaum hat der vereinsamte Mann den ersten Hautkontakt mit seiner neuen Zugehfrau gehabt, will er sich schon kaum mehr lösen. Stündlich zieht es ihn hin zur Amme Aloha, und wenn er gerade nicht an ihrem Busen liegt, treiben die beiden sonstige prägenitale Späße, die da wären: Knuddeln, Kuscheln, Busseln, Baden und Arien singen. Dumm nur, daß in dem Maße, in dem Barry sich regressiv verflüchtigt und verflüssigt, der Geldstrom zu versiegen beginnt.
Die Verwandtschaft ärgert das, und den Zuschauer amüsiert's nur mäßig. Nachdem Estelrich zu Anfang tief in die Psycho-Kiste gegriffen hat, will er sich der daraus entstandenen Folgekosten komödienhaft entledigen. Leidlich saugt die Handlung Komik aus Situationen, in denen ein offensichtlich mehr als erwachsener Mann in kindischen Posen zu beobachten ist, während die geldgeile Sippschaft ihm den Hahn abzudrehen versucht: Wir sehen Rooney mit Spitzenhäubchen, Rooney mit Kinderrassel, Rooney, wie er in Windeln durch die Gegend tappt und dabei einen fahren läßt. Fast tut einem der ehemalige Kinderstar leid für diese späte Rückkehr zu dem Genre, das ihn berühmt gemacht hat: „I'm an old man pretending to be a baby“, gesteht er im Film seinem Urenkel, einem wirklichen Baby, und zumindest die Anstrengung in seinem Gesicht wirkt dabei glaubhaft.
Weil all das zusammen beim besten Willen keinen Abend füllt, hat Estelrich der Geschichte des Barry Reilly nochmal einen Kick ins Melodramatische gegeben. Einbrecher versetzen dem Pseudo-Kleinkind einen Schlag auf den Hinterkopf, woraufhin es die Sprache verliert, aber — Dialektik! — das Bewußtsein dafür gewinnt, daß Baby-Sein doch nicht so toll ist. Als nämlich Aloha ihn verläßt, bleibt dem irreversibel geschrumpften Barry bloß noch die Verlegung seiner Wünsche ins Vorgeburtliche, die Fruchtblase — das definitiv ozeanische Element sozusagen. Fortan schwebt ihm als Urbild aller Wünsche eine überirdisch milde lächelnde Marianne Sägebrecht vor, die als Schaumgeborene auf einer Muschel posiert, genau wie in der American Express-Reklame von Annie Leibovitz.
Als Barry schließlich aus Verzweiflung ins Wasser geht, mag das irgendwie konsequent sein, zugleich aber eine psychodramatische Überdosis, die dem Film vollends nicht gut. Kitsch als Schicksal — das taugt eben doch nur für Seifenopern. Nach zweieinhalb Ideen, viel Milch und mancherlei Schrillität war Estelrich wohl einfach am Ende mit seiner Küchenpsychologie. Der „Anti-Ödipus“ harrt weiterhin einer kongenialen Verfilmung. Thomas Groß
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen