■ Präsident Clinton stellt sein Wirtschaftsprogramm vor
: Wölfe lauern unterm Drahtseil

Selten hat sich ein US-Präsident so gut auf sein Amt vorbereitet wie Bill Clinton. Doch trotz aller Parforceleistungen an Ausdauer, Konzentration auf die wesentlichen Probeme und sein nationalökonomisches Detailwissen wartete gestern alles auf die Antwort des Präsidenten, wie er denn nun konkret seine Wahlaussagen in Taten umsetzen werde. Und wie nicht anders erwartet, sind die präsentierten Konzepte weit kleiner ausgefallen, als es sich die Nation in ihren durch die Wahlversprechen genährten Träumen wohl ausgemalt hat. Eine moderate Konjunkturstimulierung, Infrastrukturinvestitionen zur langfristigen Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit sowie eine mittelfristige Budgetsanierung kündigte der Präsident in seinem Dreistufenplan an. Finanziert werden soll das Ganze durch eine Art US-amerikanischen Solidarpakt, bei dem auch die Mittelschichten über Steuererhöhungen Opfer bringen sollen. Auch im Land der unbegrenzten Möglichkeiten mußte Clinton die Grenzen des Machbaren erkennen – und die sind angesichts des gigantischen Schuldendschungels und des langen Sündenregisters seiner Amtsvorgänger Ronald Reagan und George Bush eng gesteckt.

Das Muster aber, aus dem das Wirtschaftsprogramm gestrickt ist, birgt erhebliche Gefahren eines Absturzes für den neuen Präsidenten: Für einen sozialen Umbau der US-Gesellschaft und die Modernisierung der Wirtschaft reichen die Ausgaben kaum aus, für eine echte Senkung des Bilanzdefizits sind sie schon zu hoch. Clintons Kurs bleibt ein Drahtseilakt, denn unter ihm lauern die Wölfe: auf der einen Seite Randgruppen, Mittelschichten und Benachteiligte, die mehr Ausgaben verlangen, auf der anderen Seite die Finanzkreise und Wirtschaftsvertreter, die das Defizit bekämpfen wollen. Mister Clinton mochte auf seiner Inaugurationsparty noch so laut in sein Saxophon blasen, auch das Knarren im amerikanischen Wirtschaftsgefüge konnte er damit nicht übertönen. Die Industrie steckt mitten in einer Restrukturierungsphase, die sich auf transnationale Produktionsstrategien ausrichtet und im eigenen Land Millionen von Arbeitsplätzen kostet.

Die Interessengruppen werden sich in den nächsten Monaten um das Paket reißen. Vergangene Erfahrungen zeigen, daß danach oft nicht viel von den Programmen übrig geblieben ist. Vergangene demokratische Präsidentschaften haben nicht zuletzt deshalb meist ein schlechtes Ende genommen – für Clinton läßt sich das noch nicht voraussagen. Vielleicht sind die Demokraten nach zwölf Jahren harter Opposition doch bereit, ihrem Präsidenten das Regieren etwas leichter zu machen. Und Verkaufstalent hat der in Hope geborene Präsident ja bereits bewiesen. Erwin Single