■ Protektionistische Rivalitäten überschatten Kohl-Reise
: Kohls Auftrag in Asien

Vorbei die Zeit, als jedes Gipfeltreffen zwischen Europa, Amerika und Japan mit einem Toast auf die Trilaterale begann. „Das Dreieck Japan-Nordamerika-Europa ist ein Kraftfeld friedlicher und friedensbewahrender Zusammenarbeit gleichgesinnter Staaten“, sagte der Bundeskanzler während seines Staatsbesuchs 1983 in Tokio. Zehn Jahre später sucht Helmut Kohl nach einem neuen Japan-Vokabular.

In Begleitung hochrangiger deutscher Konzernspitzen trat der Kanzler gestern eine zwölftägige Asienreise an, deren Endstation die Konkurrenten aus Japan und Südkorea sein werden. In Tokio erwarten den Kanzler neue Vorzeichen: Auf 18 Milliarden Mark belief sich 1992 das deutsche Handelsdefizit mit Japan.

Das deutsch-japanische Ungleichgewicht entspricht der neuen trilateralen Spannung: Die alten Friedensformeln waren den Warnungen vor Handelskriegen gewichen. Statt von Zusammenarbeit ist jetzt immer häufiger von handelspolitischen Vergeltungsmaßnahmen die Rede. Bill Clinton gab den Ton vor, als er Japans Außenminister Watanabe schroff mit seiner Absicht konfrontierte, die amerikanische Außenhandelsbilanz zu konsolidieren. Auch die EG-Kommission schließt neue Zölle zum Abbau des Handelsdefizits mit Japan nicht mehr aus.

Nur ein verbaler Krieg, um das Scheitern der jeweiligen nationalen Wirtschafts-Politiken zu kaschieren? Hinter der neuen Handelsrhetorik verbergen sich alte Strategien – und eine alte Furcht: daß die industrielle Welt in drei Handelsblöcke zerfallen könnte. Clinton hat diesen Ängsten durch seine Absicht Auftrieb gegeben, mit Kanada und Mexiko beschleunigt eine Freihandelszone zu bilden. Auch die EG erregt Besorgnis. In Washington und Tokio ist man sich unsicher, wie eng die Grenzen des europäischen Binnenmarkts in Zukunft ausgelegt werden. Demgegenüber ist Japan zwar noch frei von Handelsblock- Ambitionen, was daran liegen mag, daß die Nachbarländer noch keinen tragfähigen asiatischen Binnenmarkt errichten können.

Jeweils auf die Region bezogen spiegeln Blockphantasien und protektionistische Rhetorik die wirtschaftliche Lage der letzten Jahre wieder. In Japan, das zuletzt in die Rezession glitt, dominiert derzeit noch die traditionelle Konjunkturpolitik über handelspolitische Maßnahmen. Die Europäer, bei denen die Rezession schon sehr viel früher einsetzte, erwecken dagegen den Eindruck, die Handelspolitik zum Instrument des kurzfristigen Krisenmanagements auszubauen. Zweifellos aber haben die Amerikaner ihre Handelspolitik am weitestgehenden umdefiniert. Die „Clintonomics“, Reaktion auf den wachsenden Rückstand der USA gegenüber Japan und Deutschland, erscheinen freilich inzwischen auf den ersten Blick veraltet. Im zweiten Halbjahr 1992 legte die amerikanische Wirtschaft ein durschnittliches Wachstum von 3,6 Prozent vor, das derzeit höchste in der OECD. Kein Zweifel besteht, daß die Geister des Protektionismus schnell wieder verflogen wären, würde sich die Clinton-Administration aufgrund der veränderten Wirtschaftslage zurück auf den Freihandel besinnen. Aber alle Signale aus Washington zeigen in die andere Richtung. Der neue amerikanische Pragmatismus will direkt in die Handelsbilanzen eingreifen und den strategisch ausgewählten Unternehmen konkrete Vorteile verschaffen. Die Amerikaner stehen mit diesen Ideen nicht allein: „Es geht hier nicht um Protektionismus“, meint Folker Streib, Commerzbank-Chef und Präsident der Deutschen Industrie- und Handelskammer in Tokio. „Wir Deutsche sind Anhänger der freien Marktwirtschaft. Wir müssen jedoch endlich erkennen, daß unsere Idealvorstellungen von freier Marktwirtschaft von einer Reihe unser Hauptwettbewerber nicht geteilt werden.“

Je klarer sich die Handelsrhetorik im Westen akzentuiert, desto deutlicher wird gleichzeitig, daß der eigentliche Gegner für viele Japan heißt. Im vergangenen Jahr fuhr Japan einen Rekordüberschuß in der Handelsbilanz über 107 Milliarden Dollar ein. Doch nicht nur die Zahlen erklären die Skepsis gegenüber der fernöstlichen Wirtschaftsmacht. Mit dem Quasi-Weltmonopol der japanischen Speicherchipindustrie hat sich in westlichen Politikerhirnen die Angst vor der technologischen Kolonialisierung festgesetzt. Sie erklärt einen Großteil der derzeitigen Debatte.

Lester Thurow, der renommierte Ökonom vom Massachusetts Institute of Technology, zählt zu den meistgehörten Japan-Kritikern: „Wenn Japan ein Sonderfall ist, und daran glaube ich, wird es die Spielregeln des Kapitalismus rund um die Welt entscheidend verändern.“ Damit ist natürlich nicht gemeint, daß sich die westliche Welt den japanischen Erfolg zu eigen machen sollte. Vielmehr geht es um die Ausgrenzung der „kommunitären japanischen Geschäftsmethoden“ (Thurow), mit anderen Worten: der japanischen Großkonglomerate, in Japan „keiretsu“ genannt, wie Mitsubishi, Mitsui oder Sumitomo.

In der Kritik an den japanischen Großkonzernen aber äußert sich ein realer Interessenkonflikt zwischen den Industrienationen. Nur den japanischen Unternehmen gelang bisher in größerer Zahl, in den Weltmärkten Europas, Amerikas und Japans zu etwa gleichen Geschäftsanteilen vertreten zu sein. Ein Paradebeispiel für erfolgreiche Unternehmenspolitik in den achtziger Jahren ist deshalb der Kamera- und Büromaschinenhersteller Canon: Jeweils etwa 30 Prozent ihres weltweiten Umsatzes erwirtschaftet die Firma heute in den drei großen Industriezonen.

Aufgrund von „Ignoranz und Arroganz“ (Daimler-Benz Chef Edzard Reuter), aber auch aufgrund der langjährigen japanischen Importrestriktionen verfügen heute nur sehr wenige westliche Unternehmen über ein drittes gleichwertiges Standbein in Japan. Für viele Betriebe in den Schlüsselindustrien der Auto- und Elektronikbranche bleibt dieser Umstand ein entscheidendes Wettbewerbshandicap gegenüber der japanischen Konkurrenz, gegen das sie sich nun mit handelspolitischem Lobbyismus zu wehren versuchen.

Der Kampf der Industriegiganten zeigt, daß auch die großen, für ganze Branchen maßgeblichen Konzerne vor dem internationalen Verdrängungswettbewerb nicht mehr standhalten können. Solange es nur Kamerahersteller und Elektrounternehmen traf, mochte dieser Prozeß im einzelnen noch verkraftbar sein. Gleichwohl ist es undenkbar, daß Firmen wie Chrysler, Renault oder Volkswagen dem Freihandel geopfert werden.

Bei Videorekordern war Japan noch in der Lage, sechsmal so viele Geräte zu produzieren, wie das Land selbst benötigte. Nun ist auf allen Seiten ein Umdenken gefordert. Die großen Wachstumsmärkte der achtziger Jahre sind gesättigt. Automobil- und Elektronikhersteller haben kaum mehr neue Produkte zu bieten und ertrinken in der Überproduktion. Wer die Gatt-Runde retten will, muß deshalb über neue Wege der Handelsregulierung nachdenken, noch bevor jede Nation für sich entscheidet. Die USA scheinen gegenwärtig nicht mehr weit von diesem Punkt entfernt. Das trilaterale Dreieck steht unter Hochspannung. Georg Blume,Tokio