Warum wird die UN-Hilfe behindert?

Mit ihrem Hungerstreik wollen Bosnier die Unterstützung der Vereinten Nationen erzwingen/ Serben könnten durch Blockade der Hilfslieferungen „ethnische Säuberung“ vollenden  ■ Aus Split Erich Rathfelder

Von der Pressestelle des Flüchtlingswerkes der Vereinten Nationen UNHCR konnte man in Split gestern bemerkenswerte Informationen bekommen: Weil „Serben und Moslems“ die Arbeit der UN- Hilfsorganisation gleichermaßen behinderten, könne, so hieß es, die humanitäre Hilfe in Bosnien-Herzegowina nicht mehr gewährleistet werden.

Doch dadurch, daß die UNO die beiden Kriegsgegner in einen Topf wirft, wird sie der tatsächlichen Lage im Lande nicht gerecht. So ist es zwar richtig, daß die serbische Seite die Verteilung der UN-Hilfsgüter behindert. Viele Konvois, die für die muslimanisch- kroatischen Enklaven im Südosten Bosniens bestimmt sind, erreichen ihre Zielorte nicht. Der Grund für die Behinderung – und damit auch der Unterschied zur „Behinderung“ der Lebensmittelverteilung durch die Bosnier – liegt jedoch in der Strategie der serbischen Kriegführung: Dadurch, daß man die Bevölkerung Ostbosniens verhungern läßt, kann die ethnische Säuberung in den bisher nicht eroberten Gebieten vollendet werden. Vor allem in den Enklaven Zepa und Cerska, wo jeweils etwa 80.000 bis 100.000 Menschen von serbischen Truppen eingeschlossen sind, ist die Lage dramatisch, „verhungern täglich Dutzende“, wie der Pressesprecher der UN- Truppen unumwunden zugibt. Dagegen verfügen die Menschen in den Enklaven Srebrenica und Goražde noch über eigene Ressourcen.

Die Verweigerung der Annahme der Hilfe durch die bosnische Regierung in Sarajevo hat einen völlig anderen Hintergrund. Da die UNO den Zugang zu den ostbosnischen Enklaven nicht erzwingen kann, wollen die Verantwortlichen in Sarajevo und auch in den anderen Teilen Bosniens, die noch von der bosnischen Regierung kontrolliert werden, ihre Solidarität mit den eingeschlossenen Menschen demonstrieren. Sie wollen zeigen, daß sie den Tod nicht scheuen, um endlich die Parteinahme der Weltorganisation für die Verteidiger Bosniens zu erhalten. Die Drohung, die auf Eisenbahnwaggons an die Front bei Brčko gebrachten Chlorgas-Tanks bei einem Angriff zu öffnen, gehört ebenfalls zu dieser Strategie: „Lieber nehmen wir den kollektiven Selbstmord in Kauf, als daß wir uns dem Feind ergeben, der uns massakrieren will.“

Inzwischen empfinden die Bosnier die für sie verwendete Bezeichnung „Moslems“ ebenfalls als Aggression, kämpfen doch in der bosnischen Armee neben Muslimanen immer noch Kroaten und auch Serben – allein in Tuzla liegt der serbische Anteil bei 10 bis 15 Prozent. Indem die Bosnier als „Moslems“ bezeichnet werden, verschwindet die wirkliche Dimension des Krieges: Auf bosnischer Seite führt die multikulturelle Gesellschaft Bosniens einen verzweifelten Abwehrkampf. Die Angreifer sind dabei nicht allein serbische, sondern auch kroatische Truppen.

Daß die Weltorganisation immer wieder die Serben unterstützt, wie schon lange von bosnischer Seite aus behauptet wird, mag die Aussage einer serbischen Soldatin am Kontrollpunkt vor Sarajevo indirekt bestätigen. Sie stellte fest, daß die Menschen auf der anderen Seite der Barrikaden, die Serben, ohne die „Hilfslieferungen der UNO verhungern müßten. Somit liefert die UNO willentlich oder unwillentlich Lebensmittel an die serbischen Streitkräfte in Bosnien.

Die Versorgungslage in Sarajevo hat sich unterdessen weiter verschlechtert. In der Nacht zum Donnerstag sollen bei einem schweren Bombardement die staatliche Bäckerei und eine Teigwarenfabrik so sehr beschädigt worden sein, daß sie ihre Produktion einstellen mußten. Erneut unterbrochen wurde außerdem die Elektrizitäts- und Wasserversorgung. Nach Angaben von Korrespondenten vor Ort wird die Blockade der Hilfslieferungen jedoch nicht völlig eingehalten. 20 bis 25 Prozent der von der UNO bis zur Einstellung der Luftbrücke nach Sarajevo gebrachten Hilfsgüter würden an den bosnischen Behörden vorbei direkt an die Bevölkerung ausgegeben. Private Hilfsorganisationen wie etwa die Caritas verteilten ebenfalls Hilfsgüter.

Der Grund für die serbische Blockade eines UN-Konvois nach Cerska ist nach UN-Angaben das Auffinden eines Massengrabs im ostbosnischen Kamenica durch serbische Truppen. Bei den 26 Toten soll es sich um bosnische Serben handeln. Der Ort, eine muslimische Enklave, war am vergangenen Wochenende von serbischen Einheiten erobert worden. Nach Angaben des serbischen Kommandanten Milan Milošević wurden 16 weitere Körper einen Kilometer weiter in einem zweiten Grab gefunden. Ein drittes Grab befinde sich im Westen des Ortes. Es bestehe kein Zweifel, daß es sich um Serben handele, hieß es. Die Opfer seien von ihren Familien identifiziert worden.

Nach Angaben des Vorstehers eines nahe gelegenen Klosters soll es sich um Soldaten handeln, die am 6. November von einer bosnischen Offensive überrascht worden seien. Einige seien getötet und ihre Körper anschließend verstümmelt worden. Die Mehrzahl der Toten trug Uniform. Einem der Männer waren Hände und Füße mit Draht gefesselt worden.