Radikal ist das am Mittwoch abend verkündete Wirtschafts- programm des neuen US-Präsidenten zwar nur bedingt. Doch nach zwölf fetten Jahren für die Gut- und Besserverdienenden verleiht allein der Plan, dieser Schicht höhere Steuern abzuverlangen, Clinton die Aura eines modernen Robin Hood. Zusätzlich zur Besteuerung der oberen Einkommen enthält das Programm über 150 Einsparungsvorschläge in Höhe von rund 250 Milliarden Dollar. Aus Washington Andrea Böhm

Clinton will Reichen an die Wäsche

Bei der ersten Rede des neuen US-Präsidenten vor den versammelten Senatoren, den Mitgliedern des Repräsentantenhauses und des Obersten Gerichtshofs am Mittwoch abend im Capitol schimmerten noch einmal Glanz und Gloria der Amtseinführung Bill Clintons durch. Dabei ist längst klar, daß in den Ausschüssen und Amtszimmern des Parlaments umgehend das Hauen und Stechen um das neue Wirtschaftsprogramm beginnen wird. Trotzdem: So tolpatschig er seine Amtszeit begonnen haben mag, mit seiner Premiere im Kongreß hat Clinton innenpolitisch wieder die Initiative übernommen. Vergessen sind die Debakel um die Kandidatinnen für das Amt der Justizministerin und der Aufruhr um Homosexuelle im Militär.

Neuigkeiten über das, was in den letzten Tagen bereits häppchenweise zum Vorkosten an die Öffentlichkeit gegeben worden war, enthielt die Rede nicht. Wie bereits bekannt, soll ein Paket zur kurzfristigen Ankurbelung der Wirtschaft im Umfang von 30 Milliarden Dollar geschnürt werden, von dem sich Clinton die Schaffung von 500.000 Arbeitsplätzen verspricht – vor allem durch staatliche Investitionen in die Infrastruktur. Langfristig will die neue Regierung in den nächsten vier Jahren rund 500 Milliarden Dollar durch Steuererhöhungen vor allem für die höchsten Einkommensgruppen, eine breitangelegte Energiesteuer und Budgeteinsparungen in die Staatskasse häufen. Ein Drittel der Summe soll für staatliche Investitionen ausgegeben, zwei Drittel für die Reduzierung des Defizits verwandt werden. Damit würde Clinton das jährliche Haushaltsdefizit zum Ende seiner Amtszeit auf 200 Milliarden Dollar senken – vorausgesetzt, der Kongreß segnet den gesamten Plan ab.

Über 150 Kürzungsvorschläge im Umfang von rund 250 Milliarden Dollar enthält das Programm. Clinton benannte am Mittwoch abend nur die PR-wirksamsten: Haushaltseinsparungen, die die Bundesverwaltung sowie das Weiße Haus betreffen. Das Personal im Weißen Haus soll um 25 Prozent reduziert, in der gesamten Bundesverwaltung 100.000 Arbeitsplätze eingespart werden.

Attacken gegen Lobbygruppen und Einzelinteressen

Clintons Aufforderung an die Opferbereitschaft fast aller Bevölkerungsschichten ist laut Meinungsumfragen auf überwiegend positive Resonanz gestoßen. Das liegt nicht zuletzt daran, daß die neue Administration deutlich den Willen signalisiert hat, einige Grundzüge der Reaganschen Steuer- und Finanzpolitik rückgängig zu machen. Herausgekommen ist zwar kein radikales Programm zur Umverteilung gesellschaftlichen Reichtums. Doch nach zwölf Jahren des großen Fressens für die oberen Einkommensschichten verleiht allein der Plan, eben diesen höhere Steuern abzuverlangen, dem Präsidenten schon einen Hauch von Robin Hood. Zumal er andererseits einige soziale Probleme benannte, denen seine beiden Amtsvorgänger kaum Aufmerksamkeit zukommen ließen.

Bereits in der vergangenen Woche hatten Bill und Hillary Clinton die Pharmaindustrie für enorme Preissteigerungen bei Impfstoffen kritisiert; rund die Hälfte aller Zweijährigen in den USA sind nicht ausreichend gegen Kinderkrankheiten geimpft. Um diesem Zustand abzuhelfen, will die Administration 300 Millionen Dollar für ein staatliches Impfprogramm investieren. Solche Maßnahmen sind ebenso überfällig und PR- wirksam wie Clintons Forderung an den Kongreß, endlich einer Reform zur Wahlkampffinanzierung und einer Regulierung von Lobbygruppen zuzustimmen. Insgesamt ist es Clinton mit einer geschickten PR-Kampagne, mit gezielten Attacken gegen Lobbygruppen und Einzelinteressen von Kongreßabgeordneten und teils pathetisch-patriotischen, teils nüchternen Appellen an die Opferbereitschaft aller gelungen, einen Konsens für eine Art amerikanischen Solidarpakt zu schaffen.

Bei aller untypischen Konfliktbereitschaft war dem Präsidenten anzumerken, daß er mit seinem ersten Auftritt im Kongreß gezielt einen Mann auf seine Seite ziehen wollte, der gar nicht im Saal saß: Ross Perot. Der texanische Milliardär und dritte Kandidat bei den Präsidentschaftswahlen im November zeigte sich am Mittwoch abend zufrieden, war er es doch gewesen, der das Thema „Haushaltsdefizit“ überhaupt erst in den Wahlkampf eingeführt hatte. In der ABC-Sendung Nightline bescheinigte Perot dem Präsidenten fürs erste, auf dem richtigen Weg zu sein. Das bedeutet keineswegs einen Friedensschluß: Seit Monaten ist Perot wieder im politischen Geschäft und rekrutiert im ganzen Land neue Mitglieder für seine Organisation „United We Stand“. Unbestreitbar buhlen sowohl Bill Clinton als auch potentielle Präsidentschaftskandidaten der Republikaner für 1996 bereits jetzt um die Perot-Anhänger. Noch am Mittwoch nachmittag hatte Clinton den Texaner im Weißen Haus zum vertraulichen Gespräch gebeten – wohl wissend, daß der Texaner momentan der einzige ist, der dem Höhenflug des Präsidenten in den Meinungsumfragen einen Dämpfer versetzen kann.

Was von dem Wirtschaftsplan letztlich umgesetzt wird, entscheidet in den nächsten Wochen und Monaten der US-Kongreß. Bei aller beschworenen Einheit angesichts der kritischen Wirtschaftslage des Landes verwandeln sich republikanische wie demokratische Abgeordnete in den Ausschüssen und Komitees schnell wieder in Hüter ihrer Pfründe. Damit sind vor allem Bundesmittel für ihre Wahlkreise und Staaten gemeint, von denen Bill Clinton einige streichen will und muß. 1994 finden die nächsten Kongreßwahlen statt, bei denen das gesamte Repräsentantenhaus und ein Drittel des Senats neu gewählt wird. Gerade im Repräsentantenhaus, das durch diverse Skandale noch mehr in Verruf geraten ist als der Senat, fürchten viele Abgeordnete um ihren Sitz, wenn sie im kommenden Wahlkampf nicht nur ihren ramponierten Ruf als Berufspolitiker, sondern auch noch Steuererhöhungen und Mittelkürzungen verteidigen müssen.

Die größte Bewährungsprobe steht ohnehin noch aus – daran ließ auch Bill Clinton am Mittwoch abend keinen Zweifel: die Reform des Gesundheitssystems. 37 Millionen US-Amerikaner sind ohne jede Krankenversicherung, weitere 60 Millionen sind nur unzureichend versichert. Bis Ende des Frühjahrs soll die speziell eingerichtete Kommission zur Reform des Gesundheitswesens unter Leitung von Hillary Clinton einen umfassenden Plan vorlegen. Nach ersten Schätzungen soll eine umfassende Krankenversicherung für alle Amerikaner zwischen 30 und 90 Milliarden Dollar pro Jahr kosten. Um das zu finanzieren, soll nach bislang vertraulichen Papieren der Kommission eine zweite Runde der Steuererhöhungen eingeläutet werden. Ob der nationale Konsens in Sachen Opferbereitschaft dann noch trägt, ist fraglich.