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Jeder Anfang in der Jugendarbeit ist ein Antrag

■ Jugendliche diskutieren mit Jugendsenator Krüger/ Die meisten wissen ganz genau, was sie wollen/ Bauarbeiten, Billardtische und Skateboardanlagen

Schöneberg. Einen Billardtisch und eine Bar für das Café, vor allem aber ein Dach, wünscht sich die vierzehnjährige Gisela für das Haus der Jugend in Köpenick. „Sobald es weht, fliegen uns die Dachziegel um die Ohren, bald sitzen wir auf der Terrasse.“ Saba schlägt vor, ein Jugendzentrum für die fast 8.000 arabischen Kinder und Jugendlichen in Berlin zu gründen. „Wir wollen uns nicht abgrenzen, aber wir wollen unsere Musik hören, unsere Folklore üben und unsere Identität pflegen als einen Teil der multikulturellen Stadt Berlin.“

Jugendsenator Thomas Krüger (SPD) hört zu, notiert Adressen, erläutert die Chancen innerhalb seines Etats, verspricht, die zuständigen Stadträte anzurufen. 250 Jugendliche von den 1.020, die auf eine Fragebogenaktion des Senators geantwortet hatten, waren Krügers Einladung gefolgt, ihm im direkten Gespräch ihre Wünsche vorzutragen. In einer sich stetig verdichtenden Nikotinwolke diskutierten sie am Donnerstag nachmittag im Haus der Jugend Weiße Rose in Schöneberg über das Sonderprogramm „Jugend mit Zukunft“. Die meisten wissen genau, was sie vom Senator wollen.

Schon in den Fragebögen hatten sie zum Teil sehr konkrete Wünsche geäußert wie neue Tischtennisplatten, Kickergeräte, Leinwände zum Graffiti-Sprayen, aber auch Nachhilfeunterricht, Betreuung bei den Hausaufgaben und Renovierungsvorschläge. Fast alle waren dafür, Jugendfreizeitheime und Jugendclubs auch an den Wochenenden zu öffnen sowie Wochenend- und Ferienfahrten, Radtouren, aber auch Gesprächskreise und Diskussionsrunden anzubieten. Die Fragebögen werden derzeit sowohl auf Bezirksebene als auch wissenschaftlich vom Institut für angewandte Jugendforschung in Prenzlauer Berg ausgewertet.

„Gerade die Eigeninitiative vieler Jugendlicher, die in den Antworten zum Ausdruck kam, macht mir Mut für die Zukunft“, so Krüger. Die Aufgabe seiner Verwaltung sei es nun, die Vorschläge in die Tat umzusetzen. Interessant sei gewesen, daß ein großer Bedarf an sportorientierter Jugendarbeit geäußert wurde. „Bodybuilding und Fitnessräume sind mir zwar fremd, aber gerade deshalb brauchen wir eure Ideen.“

Auch Kritik wurde laut. „Jugendarbeit bleibt auch bei dem Programm vor allem Jungenarbeit, es gibt keine Ansätze für eine gezielte Förderung der Mädchenarbeit“, so eine Studentin. Die vorgeschlagenen Aktivitäten wie Rockmobile oder Skateboardanlagen sprächen Mädchen weniger an, die in Jugendfreizeiteinrichtungen ohnehin unterrepräsentiert seien. Drei Streetworker seien für einen Bezirk wie Friedrichshain, wo schon 12- bis 14jährige auf der Straße Schnaps und Tabletten zu sich nähmen, viel zu wenig, kritisierte die Mitarbeiterin einer Jugendfreizeiteinrichtung.

Die Bürokratie hemme mehr, als sie ermögliche, so Daniel aus Steglitz. An der Paulsenschule versuche ein Arbeitskreis gegen Gewalt und Ausländerfeindlichkeit, Flüchtlinge als Referenten in den Unterricht einzuladen. Um die Genehmigung dafür zu bekommen, habe er sich erst an den Schulsenator gewandt, und sei daraufhin durch die gesamte Schul- bis zur Jugendsenatsverwaltung verwiesen worden. „Sie haben dann gesagt, das sei Sache der Schulverwaltung.“

Krüger hofft, mit dieser Veranstaltung den Anfang für eine Partnerschaft mit den Jugendlichen gemacht zu haben. Für jedes konkrete Anliegen sei der Anfang immer ein Antrag. Wer Ideen habe, die aus dem Programm gefördert werden könnten, solle einen Antrag an ihn und einen an das zuständige Bezirksamt stellen.

Einige Jugendliche bleiben skeptisch, als nach der Veranstaltung zu Disco übergegangen wird. Ihm sei nicht klargeworden, worin die neuen Wege in der Jugendarbeit bestünden, moniert Michael. Er habe beim mittlerweile einjährigen Kampf mit dem Bezirksamt Köpenick um einen Jugendklub das Vertrauen in die Behörden verloren. Corinna Raupach

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