Herausgeschnitten

■ „Killing the Dream“ – Ein Dokumentarfilm über Haiti und eine Real-Studie über die Zensur in den US-Medien / Zensuropfer Noam Chomsky ist in Berlin

Schwarze Frauen, die weiße Lederstücke zu Baseball-Bällen vernähen, mit der linken Hand festziehen – die Naht muß straff sein – ein neuer Stich und wieder festziehen. Knochenarbeit für die Kids in den USA. Von drei auf fünf Dollar am Tag wollte der Präsident den Lohn der Arbeiterinnen erhöhen. Der Besitzer der Fabrik schildert der Kamera sein Leid, was das für ihn bedeutet hätte: „Verrückt so 'was!, fünf Dollar pro Tag!“

Keine Spielfilmszene aus fern- finsterer Zeit, sondern Haiti und heute. Der Präsident, dieser verrückte Präsident, ist weg, im Exil. Der einstündige Dokumentarfilm „Haiti – Killing the Dream“, der jetzt auf der Berlinale zu sehen war, kehrt zurück auf die Insel, deren kurze Zeit der Hoffnung blutig zerschlagen wurden. Als im September vergangenen Jahres, auf den Tag genau ein Jahr nach dem Putsch der Armee gegen den Priester-Präsidenten Jean-Bertrand Aristide, „Haiti – Killing the Dream“ in den USA von 189 lokalen Fernsehsendern des Public Broadcasting System gleichzeitig ausgestrahlt wurde, war das ein politisches Ereignis. Das State Department mußte eine Pressekonferenz anberaumen, um gegenzuhalten. Und das, obwohl die Zensur schon vorher zugeschlagen hatte: 29 Stellen mußten aus dem Film herausgeschnitten werden, bevor er gesendet werden konnte.

Für die Co-Regisseurin Babeth wurde ihr Film so auch zu einer Real-Studie über die Mechanismen der Medien und der Zensur in den USA. Mit dem berühmten Linguisten und radikalen Kritiker der US-Politik, Noam Chomsky (über den auf der Berlinale auch der Film: „Die Konsensfabrik – Noam Chomsky und die Medien“ zu sehen ist), analysierten die FilmemacherInnen, welche Stellen es waren, die der Zensur zum Opfer fielen. Nicht die Szenen, in denen ein reicher Haitianer erklärt, daß Demokratie ja nicht darin bestehen könne, daß das Volk bestimmt, denn das könne ja nicht lesen und schreiben. Und auch nicht, wenn ein armer Haitianer wütend gegen die USA anschreit, daß diese hinter dem Putsch gegen Aristide stecken. Haitianer können im US- Fernsehen sagen, was sie wollen. Als „Nigger who speak French“ hatte sie einst ein Außenminister der USA bezeichnet – die Sprache hat sich gewandelt, die Wertschätzung ist ähnlich geblieben.

Empfindlich reagiert man jedoch, wenn es um „Leute von uns“ geht. Wenn ein respektabler US- Bürger wie Ramsey Clark, seines Zeichens Justizminister der Carter-Regierung, nach einer Untersuchungsmission in Haiti gegen die Heuchelei des Weißen Hauses Position bezieht: zensiert. Die Information, daß der Botschafter der USA in Haiti, dessen Rolle beim Putsch gegen Aristide durchaus zwielichtig ist, sich seine frühen Meriten während des Vietnam- Kriegs in der US-Botschaft in Saigon verdiente: zensiert.

Bei der Untersuchung von „Haiti – Killing the Dream“ war Noam Chomsky auch Medienanalytiker in eigener Sache: Alle Interview-Szenen im Film, in denen Chomsky die Kontinuitäten der Außenpolitik des Imperiums aufzeigt, dem an Hoffnungen, wie sie Aristide verkörperte, so viel gelegen ist wie an teureren Baselball- Bällen – fürs US-Fernsehen mußten sie herausgeschnitten werden. Bert Hoffmann

Babeth, Katharine Kean, Rudi Stern: „Haiti – Killing the Dream“, USA 1992, 55 Min.

Noam Chomsky ist in Berlin. Morgen um 19:30 wird ein großes „Public Forum on Public Media“ mit ihm im Kinosaal der Humboldt-Universität stattfinden (Unter den Linden 6). Der Film „Die Konsensfabrik – Noam Chomsky und die Medien“ läuft Samstag 19:30 im Arsenal und Sonntag um 13:30 in der Akademie der Künste