Briefkastenonkel Francois

■ "3615 Tonton": Mitterrands kläglicher "Minitel"-Dialog mit den BürgerInnen

Paris (taz) – „Tippen Sie 3615 Alina“, wirbt eine verführerische Blondine in den Metrozügen. „3615 Boys – Sandro, Tom und Jean-Francois“ locken von der Litfaßsäule. Was AusländerInnen irritiert, gehört für die Franzosen seit über einem Jahrzehnt zum Alltag: Sechs Millionen Haushalte besitzen ein „Minitel“, so der Name des französischen Bildschirmtextsystems. Über die Telefonnummer 3615 und das jeweilige Codewort bietet „Minitel“ natürlich auch weniger Rosarotes. Diese Woche war ein ganz besonderer Kanal eingerichtet, und die Werbung dafür hätte „3615 Tonton“ lauten müssen. Denn „Tonton“ – Onkelchen – haben sympathisierende Franzosen ihren Präsidenten getauft, und als politischer Briefkastenonkel kam Francois Mitterrand am Donnerstag und Freitag zur Abendbrotzeit je eine Stunde in die französischen Wohnzimmer.

Doch mit einem alten Herrn spaßt man nicht, und auch das Ziel der Sendung war ernst: Vier Wochen vor den Wahlen zur Nationalversammlung wollte Mitterrand beweisen, daß er sich der Sorgen und Nöte der Bevölkerung annimmt. „Ich muß zuhören, und ich wünsche, daß man mich hört“, sagte er zu Beginn der Sendung.

Die zum Dialog aufgerufenen BürgerInnen mußten ihrem Minitel daher ganz sachlich den Namen der Fensehstation France3 als Codewort eingeben. Auf dem Bildschirm erschien das übliche Menü mit „Wetterbericht“ und „Horoskop“ – erweitert jedoch durch die Sparte „Stellen Sie Ihre Fragen dem Präsidenten der Republik“. Der Bildschirm bot 30 Themenvorschläge in alphabetischer Reihenfolge an – die BenutzerIn konnte wählen von „Affären“ über „Arbeitslosigkeit“ bis hin zur „Zukunft der Sozialisten“ und dann die Frage eintippen. Vorher mußten Name, Beruf und Telefonnummer angegeben werden – schließlich wurden auch Gewinner ausgelost: Unter den 23.000, die vor dem ersten Fernsehabend ihre Fragen gestellt hatten, wurden 24 ausgewählt und paarweise in zwölf Landesstudios eingeladen. Sie durften ihre Frage vor der Kamera mündlich wiederholen. Der Präsident war aus Paris zugeschaltet und antwortete ihnen stellvertretend für alle anderen.

Die größte Sorge der Franzosen, die Angst vor der Arbeitslosigkeit, beherrschte den ersten Fernsehabend. Außer Resignation und Fatalismus hatte Mitterand nichts anzubieten. „Wir können nichts dafür“, sagte er und, von einem Ingenieur auf die zunehmende Automatisierung angesprochen: „Daran können wir nichts ändern.“ Die aktuellen Debatten über neue Wege – wie etwa Arbeitszeitteilung – scheinen ihn nicht zu interessieren. Die Krankenschwester streichelte er: „Ich liebe Ihren Beruf, Madame, die Aufopferung, die Sie zeigen“, doch Vorschläge zur Verhinderung einer Zwei-Klassen-Medizin hat er auch nicht.

Der Greis war für diese neue Form des Wahlkampfs in die Fußstapfen von Bill Clinton getreten, dessen Kommunikationsmethode das Elysee ungemein beeindruckt hatte. Doch am ersten Abend fand Mitterrand keinen Draht zu den FragerInnen. Der direkte Dialog, den er in einer Talk-Show vor dem Maastricht-Referendum im September so erfolgreich bestritten hatte, kam über die weit entfernten Fernsehstudios nicht zustande. Kläglich. Bettina Kaps