Äthiopien-betr.: "Mit allen Mitteln für Groß-Äthiopien", taz vom 4.2.93

betr.: „Mit allen Mitteln für Groß-Äthiopien“, taz vom 4.2.93

[...] Was ich von einem Herrn Gerd Meuer aus Addis Abeba zu lesen bekam, war nicht nur ärgerlich, sondern widerspricht der Zielsetzung Eurer Zeitung bei der Berichterstattung: Nicht papageienhaft die Propaganda der Herrschenden weiterzureichen. [...] Was für ein Verhältnis Herr Meuer zu den neuen Herrschern Äthiopiens hat, weiß ich nicht. Auf keinen Fall hat er die erforderliche Distanz zu den Machthabern, die allein eine unparteiische Betrachtung ermöglicht. [...] Ich habe schon vor einigen Wochen die Halbwahrheiten, Insinuationen und die einseitigen Beschuldigungen der Opposition für die gegenwärtige Krise Äthiopiens, die er in seinem Artikel verbreitet, in der offiziellen Presse in der Originalausgabe gelesen: Er hat nur das Resümee ins Deutsche übertragen. [...]

Ich möchte hauptsächlich meine Enttäuschung darüber kundtun, daß es auch in Eurer Zeitung möglich wurde, wider besseres Wissen, das ethnische Problem in Äthiopien als die Machenschaft „einer winzigen Clique von der akademischen Bourgeoisie“ mit der Gefolgschaft einiger hundert „amharisch-studentischer“ Desperados darzustellen. Hiermit wird nicht nur ein komplexes Problem verballhornt, sondern, und das ist das Schlimmere, implizit die Gewalt gegen die Opposition legitimiert. [...]

Ich gehöre weder zu den Amharen noch zu denjenigen, die die Sezession Eritreas verhindern möchten. Ich habe bereits vor etlichen Jahren das Recht Eritreas auf Unabhängigkeit anerkannt und es, angesichts der Dauer und der Intensität des Krieges in Eritrea, gar für unvermeidlich gehalten. Ich akzeptiere die bevorstehende Sezession zwar nicht mit Genugtuung, aber als ein durch den 30jährigen bewaffneten Kampf erzwungenes fait accompli, womit sich die restlichen Äthiopier abfinden müssen. Daß es sich bei dem Referendum im nächsten April nicht um einen demokratischen Volksentscheid handelt, sondern um eine Fanfare for foreign consumption, die tatsächliche Sezession international zu legitimieren, soll kein Argument gegen die Akzeptanz des fait accompli sein. Denn jeder Versuch, dieses fait accompli zu revidieren, kann nur Unheil für die Völker dieser Region mit sich bringen. Aber auch die Nonchalance, mit der die Sieger gegen Mengistu in Äthiopien und Eritrea die Sezession durchzusetzen beabsichtigen, ist verantwortungslos und mitverantwortlich für die gespannte politische Lage. Der Eskalation kann nur dann ein Ende bereitet werden, wenn die Opposition auf ihren Revanchismus verzichtet und wenn die Machthaber in Asmara und Addis ihre Siegerarroganz aufgeben, wonach sie bislang nach ihrem Gutdünken alles zu tun und zu unterlassen in der Lage zu sein glaubten. Alle Entscheidungen und Maßnahmen, die nur auf die gute Beziehung zwischen den beiden herrschenden Kaderorganisationen in Eritrea und Äthiopien (EPLF bzw. TPLF) beruhen, zeugen von dieser Siegerarroganz und von politischer Kurzsichtigkeit.

Die Völker dieser Region sind aufeinander angewiesen und haben unter jeder Art kriegerischer Auseinandersetzung nur zu leiden. Der Kampf für die Erhaltung von Alten Grenzen oder für das Hissen der eigenen Fahne engagiert leider viel zuviel Partisanen unter Äthiopiern sowohl im In- als auch im Ausland. Für diesen Kampf sind bereits viele Auslandshilfen mobilisiert worden, weshalb die Hilfeleistungen der taz in diesem Zusammenhang überflüssig wären. Es ist der Kampf für Völkerverständigung und für (über)lebensnotwendige gutnachbarliche Beziehungen zwischen den Völkern dieser Regionen, der kriminell vernachlässigt wird. Und dieser Kampf bekommt keine „Entwicklungshilfe“. Hier könnt Ihr, als eine Zeitung mit einem nicht zu unterschätzenden Einfluß in der deutschen politischen Öffentlichkeit, einen bescheidenen Beitrag leisten.

Wer sich in der gegenwärtigen explosiven Situation aber, in der die politischen Positionen polarisiert sind, für eine politische und friedliche Lösung des Problems einsetzen will, muß sowohl an die Machthaber als auch an die Opposition appellieren, Zurückhaltung zu üben und aufeinander zuzugehen, damit eine politische Atmosphäre geschaffen wird, in der, ohne zur militärischen Option zu rekurrieren, Konflikte beigelegt werden können. Die partisanenhafte Unterstützung der Machthaber oder der Opposition kann nur die ohnehin eskalierende Situation zuspitzen. Und was droht, ist nicht ein Kampf, wie Herr Meuer suggeriert, zwischen der ewig gestrigen winzigen „Clique von der akademischen Bourgeoisie“ und den angeblich jungen Demokraten an der Macht, sondern die zweite Auflage eines mörderischen Bürgerkriegs, die noch verheerender sein wird. Dereje Alemayehu, Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der FU Berlin