UNO-Abstimmung über Kriegsverbrechertribunal

■ Bosnien-Verhandlungen in New York verschoben, da Karadžić nicht kam

Genf (taz) – Das Genfer UNO- Flüchtlingshochkommissariat (UNHCR) bleibt dabei: Es unterbricht die meisten seiner Hilfsoperationen in Bosnien-Herzegowina, bis Serben und Muslime sämtliche Blockaden von Lastwagenkonvois aufheben und die Verteilung von Hilfsgütern in Sarajevo wieder zulassen. Meldungen, wonach Hochkommissarin Sadako Ogata von UNO-Generalsekretär Butros Butros Ghali schriftlich zur sofortigen Wiederaufnahme der Hilfsoperationen aufgefordert worden sei, wies das UNHCR gestern als falsch zurück.

Der muslimische Präsident Alija Izetbegović machte unterdessen seine Teilnahme an den New Yorker Bosnien-Verhandlungen, die nach einer zehntägigen Unterbrechung ursprünglich gestern wieder beginnen sollen, von der vorherigen Wiederaufnahme der Hilfslieferungen abhängig. Auch Serbenführer Radovan Karadžić erschien nicht in New York. Er begründete dies mit „Diskriminierungen“ durch die US-Regierung und die Stadt New York.

Der UNO-Sicherheitsrat wollte in der Nacht zum Samstag die Verlängerung des UNPROFOR-Mandats für Ex-Jugoslawien sowie die Einrichtung eines Kriegsverbrechertribunals beschließen.

Die Verfügung von Flüchtlingshochkommissarin Sadako Ogata zur Aussetzung der meisten Hilfsoperationen war innerhalb wie außerhalb der UNO auf zum Teil scharfe Kritik gestoßen. UNHCR- Sprecherin Sylvana Foa bekräftigte die Entscheidung als „moralisch notwendig“. Die Hilfsaktionen hätten den bosnischen Kriegsparteien bereits „zu lange ein humanitäre Feigenblatt gedient“. Auf einer Pressekonferenz in Tokio hatte Ghali am Donnerstag die Entscheidung Ogatas unterstützt.

Zur Aufforderung Izetbegovićs an US-Präsident Clinton, Hilfslieferungen von der US-Lufwaffe über Bosnien-Herzegowina abwerfen zu lassen, erklärte UNHCR-Sprecherin Foa, dies sei „ein gefährliches Unterfangen wegen des gebirgigen, unübersichtlichen Geländes“. Voraussetzung für dafür sei auf jeden Fall die Überwachung des Luftraumes und möglicherweise auch die Absicherung durch Bodentruppen.

Mit der vorläufigen Weigerung Izetbegovićs und Karadžićs, nach New York zu kommen, mußte die Wiederaufnahme der Bosnien- Verhandlungen erneut auf einen zunächst unbestimmten Zeitpunkt verschoben werden. Die beiden Unterhändler Cyrus Vance und David Owen kamen am Donnerstag lediglich einmal mit dem bosnischen Kroatenführer Mate Boban zusammen, der an diesem Wochenende New York wieder verlassen wird. Die Klage Karadžićs über angebliche „Diskriminierungen“ bezieht sich auf die Anfang Februar ergangene Verfügung des US-Außenministeriums, wonach sich der bosnische Serbenführer nur innerhalb von zehn Straßenblocks um das UNO-Gebäude aufhalten darf. Zwei innerhalb dieses Gebiets gelegene Hotels – darunter das „Intercontinental“ – sind inzwischen nicht mehr bereit, Karadžić ein Zimmer zu geben.

Keine Fortschritte gab es bei den ebenfalls von Vance und Owen vermittelten Verhandlungen zwischen Vertretern der Regierung in Zagreb und der Krajina—Serben. In der Resolution zur Verlängerung des UNPROFOR- Mandats für Kroatien, Bosnien- herzegowina und Mazedonien zunächst bis zum 31. März, die der UNO-Sicherheitsrat letzte Nacht beschließen wollte, ist auch eine Erweiterung der Befugnisse der in Kroatien stationierten Blauhelme vorgesehen. Damit sollen die Chancen zur Umsetzung des weitgehend unerfüllten „Vance-Planes“ von Anfang 1992 verbessert werden. Der Sicherheitsrat hofft, mit diesem Schritt die Zustimmung der Regierung Tudjman für eine Verlängerung des UNPROFOR-Mandats für Kroatien über den 31. März hinaus zu gewinnen.

Die ebenfalls für letzte Nacht vorgesehene Abstimmung der Sicherheitsrates über die Einrichtung eines Ad-Hoc-Kriegsverbrechertribunals wurde möglich, nachdem als letztes ständiges Mitglied auch China dem von Frankreich vorgelegten Entwurf zustimmte. Darin ist – unter Bezugnahme auf Kapitel 7 der UNO- Charta (Verpflichtung der UNO zur Aufrechterhaltung des internationalen Friedens) – die Einrichtung eines Tribunals aus 15 Richtern vorgesehen, die von bereits bestehenden internationalen Gerichten abgeordnet werden. Sie sollen die seit Juni 1991 in Ex-Jugoslawien begangenen „ethnischen Säuberungen“, Folterungen, Massenvergewaltigungen und -erschießungen als Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Verstöße gegen die Genfer Konvention behandeln und Täter wie politische Befehlsgeber aburteilen. Andreas Zumach