■ Ökolumne
: Frischluft ins Treibhaus Von Gerd Rosenkranz

Der Vorgang war ungewöhnlich genug: Mitten in der heißen Wahlkampfphase verkündet die Regierung den Griff in Bürgers Tasche – und erntet allenthalben Lob. Das war vor gut zwei jahren, zu einer Zeit also, als die Sorge um unsern kränkelnden Planeten auf der öffentlichen Agenda noch weit oben stand. Am 7. November 1990 wurde die klimapolitische Vorreiterrolle, die die Bundesregierung beständig für sich reklamierte, für einen kurzen, historischen Moment Realität. Das Bonner Kabinett beschloß, die nationalen Emissionen des Treibhausgases Kohlendioxyd binnen fünfzehn Jahren um 25 bis 30 Prozent herunterzufahren. Als zentrales Werkzeug faßte Helmut Kohls Umweltvorsteher Klaus Töpfer eine Kohlendioxyd-Abgabe, eine Energiesteuer oder eine Mischung aus beidem ins Auge. Geplant war der Einstieg in das, was heute unter dem weiterreichenden Begriff „ökologische Steuerreform“ die Expertenzirkel beschäftigt.

Wer ein Jahr nach der Wahl – nennenswerte Schritte zur Umsetzung der Kabinettsankündigung ließen auf sich warten – im Hause Töpfer die wahltaktischen Hintergründe des Klimabeschlusses bekrittelte, wurde mit einer entwaffnenden Antwort nach Hause geschickt. „Zu einem anderen Zeitpunkt“, so die treuherzige und wohl auch zutreffende Auskunft, hätte es an diesem Kabinettstisch „einen solchen Beschluß überhaupt nicht gegeben“. Will sagen, ohne die Wahlsituation im Dezember 1990 wäre der Umweltminister bei seinen Kollegen von Anfang an aufgelaufen. Nicht regierungsmehrheitlicher Einsicht in die ökologische Gefährdungslage, sondern dem über die steigende globale Fieberkurve besorgten Wahlvolk war es also zu danken, daß Töpfer sich dieses eine Mal durchsetzen konnte.

Rückblickend muß die Frage erlaubt sein, ob die Gesetzlichkeiten Bonner Politik den ökologischen Notwendigkeiten noch gemäß sind, wenn ein Umweltminister die Regierung, der er angehört, nicht in der Sache, sondern nur unter Androhung unangenehmer Wählerreaktionen überzeugen kann. Die Folgen sind aktenkundig. Das Trauerspiel, das sich aus dem verkorksten ersten Akt entwickelte, muß nicht noch einmal en detail referiert werden. Nur soviel: Während Klaus Töpfer jahrelang unverdrossen unter dem Banner des angestaubten CO2-Beschlusses auf der Bonner Bühne erschien, hatten sich seine Kabinettskollegen, der Kanzler vorneweg, längst hinter einer neuen Fahne versammelt. Sie entdeckten das Prinzip der transnationalen Kollektivität. Danach ist das Kollektiv der Völkerfamilie alles, der nationale Alleingang nichts.

Den klimapolitischen „Sonderweg“ fürchtete vor allem die deutsche Industrie, die so häufig mit der Flucht ins Ausland drohte. Erst wenn die EG bei einer Anhebung der Energiepreise mitziehe, werde es nicht zu den befürchteten Wettbewerbsverzerrungen kommen. Die EG ihrerseits reagierte zunächst ganz anders, als es sich Wirtschaftslobby und die Bonner Treibhausgärtner gedacht hatten. Gegen alle Erfahrung schienen die Brüsseler Kommissare Gefallen zu finden an der nicht unpopulären Rolle der Klimabesorgten. Sie drohten also mit einem europäischen Alleingang in Sachen Energiesteuer. Doch dann brachte die Brüsseler Spielschar auf erweiterter Bühne das Bonner Stück erneut zur Aufführung. Ergebnis: Ohne „Maßnahmen gleicher Wirkung“ jenseits des Atlantiks seien Europa höhere Energiepreise nicht zuzumuten. Es wurde wieder nichts mit mehr Frischluft im Treibhaus.

Am Donnerstag früh nun öffnete sich der Vorhang mit neuer Besetzung zum bislang letzten Akt. Bill Clinton will, so ist zu hören, seine heimischen Energiejunkies ohne Umschweife an höhere Preise für ihren Stoff gewöhnen. Im Alleingang, ganz ohne Rücksicht auf transnationale Kollektivitätsregeln. Nun warten wir gespannt auf das Stück, das das Bonner Klimaensemble für diesen Fall einstudiert hat. Skepsis ist angebracht. Die anhaltende Öko-Pause deutet eher auf Lethargie im Treibhaus. Standing ovations für höhere Energiepreise sind nicht zu erwarten.