Neuer Klamauk mit dem Alten

Billy Wilder erhält den Spezial-Bären der Berlinale für sein (hauptsächlich amerikanisches) Lebenswerk  ■ Von Lars Penning

„Ein bißchen Wilder ist ja ganz schön, aber immer und immer Wilder... Natürlich, die meisten anderen sind schon tot, ich bin eben einer von den paar, die noch leben. Und da sagt man sich vielleicht: Also schnell noch irgendeinen kleinen Klamauk mit dem Alten...!“ Als der damals 73jährige Billy Wilder dieses Statement im jahr 1979 zum Besten gab, konnte er kaum ahnen, daß der „Klamauk“ in den seither vergangenen 14 Jahren noch erheblich zunehmen würde. Während die Zahl seiner ehemaligen Regiekollegen aus Hollywoods Glanzzeiten stetig zusammenschmolz, erscheint Billy Wilder mit seinen mittlerweile 86 Jahren rüstiger denn je. Für die Deutschen, die sich anläßlich ihrer eigenen Kinomisere stets auf der Suche nach ein wenig Hollywood- Glamour befinden und nicht müde werden, auf die glorreichen Zeiten vor 1933 hinzuweisen, als viele von Hollywoods späteren Starregisseuren noch für die UFA arbeiteten, ist das Anlaß genug, Wilder mit Ehrungen aller Art zu überschütten.

1980 widmeten ihm die Berliner Filmfestspiele eine Retrospektive; 1987 trug man ihm eine Ehrenprofessur an; Hellmuth Karasek schrieb eine Wilder-Biografie, und Volker Schlöndorf bearbeitete ein mehrstündiges Interview für das Fernsehen. 1992 verlieh man Wilder den Europäischen Filmpreis für sein (vorwiegend amerikanisches) Gesamtwerk, und nun erhält er also einen „Ehren-Bären“ der Berlinale; eine Auszeichnung, auf die Wilder, der seine sechs Oscars in der Rumpelkammer verstauben läßt, sicher nur gewartet hat. Nicht, daß die Preisverleihungswut der Berliner etwa den Falschen träfe, der Ironie Wilders aber können sich die Organisatoren gewiß sein. Zu Deutschland hat sich Wilder stets ein etwas gespaltenes Verhältnis bewahrt. Die guten konkurrieren mit den schlechten Erinnerungen: gerade als es mit seiner Karriere als Drehbuchautor in Berlin steil aufwärts ging, wurde er 1933 von den Nazis vertrieben, Mitglieder seiner Familie kamen in den Vernichtungslagern um, und als er 1945 für kurze Zeit als amerikanischer Besatzungsoffizier zurückkehrte, fand er ein Land voller Opportunisten und Mitläufer vor. Die Filme „A Foreign Affair“ (1948) und „One, Two, Three“ (1961), die Wilder später in Deutschland drehte, erzählen deshalb auch fast zwangsläufig Geschichten vom Verhältnis der Amerikaner und Deutschen zueinander. In „A Foreign Affair“ konfrontiert Wilder die bigotte republikanische Kongreßabgeordnete Jean Arthur mit dem opportunistischen Schwarzmarkt- und Nachtclubgeschöpf Marlene Dietrich und läßt an beiden Damen kein gutes Haar. „One, Two, Three“ zeichnet Deutschland dann vollends als Ort des Schreckens: von Amerikanern und Russen gleichermaßen kolonisiert, sind die Deutschen vom gleichen Untertanengeist beseelt wie eh und je.

Niemand hat das Demokratieverständnis der Deutschen so treffend auf den Punkt gebracht wie Wilder in diesem Film: jeden Morgen, wenn James Cagney, der den amerikanischen Boß einer Coca- Cola-Niederlassung in Berlin spielt, in sein Büro geht, springen die Angestellten auf, um ihn zackig zu begrüßen. Als Cagney sich darüber beschwert, wird ihm erläutert, dies sei eine Folge der Demokratie: hätte man den Angestellten früher befohlen, sitzenzubleiben, wäre die Anweisung auch befolgt worden; aber in der Demokratie täten sie, was sie wollten – und sie wollen stehen.

Sein sarkastischer Humor und die zynischen Hauptpersonen seiner Filme haben häufig zu der irrigen Ansicht verleitet, Wilder selbst sei ein alles verachtender Zyniker. Dabei ist er ein beinharter Moralist – viele von Wilders Filmfiguren machen einen manchmal schmerzhaften Lernprozeß durch und erfahren eine Wandlung: der Industrielle, der in „Sabrina“ die Liebschaft seines Bruders mit der Chauffeurstochter hintertreiben will und sich dann selbst in sie verliebt, ebenso wie der Angestellte in „The Apartment“, der seinem Chef die Wohnung für dessen Seitensprünge zur Verfügung stellt – bis er feststellen muß, daß die Geliebte des Chefs jene Frau ist, die er selbst liebt. Und wer sich nicht ändert, der muß dafür bezahlen.

Billy Wilders Filme sind ein wenig wie Stücke von Shakespeare: Liebe, Action und Mord; Intrigen, Täuschungen und Verkleidungen; brillanter Wortwitz und dämliche Kalauer sowie eine erbauliche Moral – Wilders Filme enthalten alles außer Langeweile. Die Konstruktion seiner Geschichten ist dem Drehbuchautor Wilder stets wichtiger gewesen als die visuelle Umsetzung durch den Regisseur Wilder: „Das Entscheidende ist doch, daß man interessante Charaktere hat und gute Szenen, in denen die Charaktere sich einwickeln können.“ Ein Kollege Wilders, der ebenfalls emigrierte Regisseur Curtis Bernhardt, drückte es etwas kritischer aus: „Ihm kommt's darauf an, daß eine Figur, kaum hat sie die Szene betreten, ihren Dialog abliefert. Ich würde nicht sagen, daß Wilders Filme visuell nichts taugen, aber sie könnten besser sein, wenn er mehr von der Kamera verstünde.“

In den fünfziger Jahren betrachtete man Billy Wilder als eine Art film noir-Ausgabe seines Vorbilds Erich von Stroheim, aber der Erfolg von „Some Like It Hot“ (1959) hat dafür gesorgt, daß sich die breite Öffentlichkeit insbesondere an den Komödien- und Marilyn-Monroe-Regisseur Wilder erinnert. Für Billy Wilder ein Anlaß, sich über das Verhältnis der Deutschen zur Komödie Gedanken zu machen: daß „Irma La Douce“ in Deutschland sein größter Erfolg gewesen sei, habe ihn einigermaßen stutzig gemacht, erzählt er. So gut habe der Film dann wohl doch nicht sein können, denn die Deutschen bevorzugten ja vor allem alberne Klamotten.