: Verse durchs Autofenster
■ Subielas „Die dunkle Seite des Herzens“ – Ein sehr argentinischer Film über Liebe in Poesie und Prosa (Forum)
„Wir sind die drei Karavellen / des Herrn Christoph Kolumbus“, trällern die drei Dancing-Girls des müden Nachtclubs, barbusig und in Netzstrümpfen, mit einem dämlichen Segel auf dem Kopf und Pappmaché-Schiffchen vor den Hüften. Ein Abgesang gleich zu Beginn des Films: Das Jubiläum ist abgefeiert, der große Entdecker einmal rauf und einmal runter gefilmt, 1992 auch in Lateinamerika aus und vorbei. Nach dieser Einleitung durch den Chorus kann „El lado oscuro del corazón“ (Die dunkle Seite des Herzens) beginnen. Der Film des Argentiniers Eliseo Subiela ist der einzige (!) lateinamerikanische Beitrag, der in diesem Jahr im Forum zu sehen ist. Und ihm geht es nicht um die Entdeckung eines ganzen Kontinents – er hat schon mit seinen Hauptpersonen vollauf genug.
Da ist Oliverio, der nie ganz der Pubertät entwachsene Dichter mit dem Drei-Tage-Bart, der die Welt mit seiner Poesie beglückt. Wo auf den Kreuzungen von Buenos Aires Kinder die Autofahrer um ein paar Münzen anbetteln, rezitiert er mit bedeutungsschwangerer Stimme Verse von Hoffnung und Ewigkeit durch's Autofenster. Von einem Imßbißbesitzer läßt er sich Liebesgedichte für dessen Angebetete in Steaks entlohnen. Doch Oliverio selbst verzehrt sich in der Sehnsucht nach der wahren Liebe, nach der einen Frau, mit der er „fliegen“ kann beim Vögeln. Alle anderen läßt er durchfallen: Ein Druck auf den Knopf neben der Nachttischlampe und – fatsch!, wird das Bett zur Falltür, kippt eine Hälfte runter, rasselt die Frau ins Bodenlose – und aus seinem Leben. Ein kleiner Griff ins Surreale, und ein einfacher Klappmechanismus erspart dem Film viele Worte.
Doch dann, natürlich, die Wende. Ana heißt sie, ist Animierdame in jenem Nachtclub in Montevideo auf der anderen Seite des Ro de la Plata, und zuständig für Sex in Prosa. Fliegen? „Trainingsflüge: 50 Dollar, Internationale: 100 Dollar“. Im Bett dann droht jedoch der Sex dem Business zu entgleiten: Abheben, fast Fliegen, ein Absturz als Notlandung. Später ein neuer Versuch: „Wir haben eine rein kommerzielle Beziehung. Äh, und eine sexuelle natürlich.“ Von wegen. Der Hundert-Dollar- Schein auf dem Nachttisch geht in Flammen auf, sie vögeln, sie fliegen. „Was kann man danach noch wollen?“, fragt sie berauscht – und klappt ihn durch's Bett, fatsch!
„Die dunkle Seite des Herzens“ von Eliseo Subiela ist ein eigenwilliger Film – und einer, der keine Minute lang seine Herkunft aus Buenos Aires verleugnen kann. Schon der Titel klingt nach Tango, Herz und Schmerz. Subielas Film zelebriert jenes überzogene Pathos in Liebe und Poesie, wie es in der Stadt am La Plata so hervorragend gedeiht, er macht sich darüber lustig, er verehrt es und ist selber ein Teil davon.
So sind die Verse, mit denen Oliverio zu allen möglichen und unmöglichen Gelegenheiten seine Mitmenschen versorgt, tatsächlich fast alle den Gedichten des 1967 gestorbenen argentinischen Dichters und Malers Oliverio Girondo entnommen. Doch in „El lado oscuro del corazón“ huldigt Subiela auch ausdrücklich den Großen der phantastischen Literatur des Río de la Plata, Borges, Bioy Casares, Cortázar. Und Uruguays prominentester lebender Poet, Mario Benedetti, spielt in Subielas Film gar selbst mit. Als betrunkener Marine-Offizier trägt er einer Dame im Nachtclub seine Gedichte vor – in holprigem Deutsch! Verfremdung für das Publikum in seiner Heimat, hierzulande eine kleine Entschädigung für alle, die ansonsten auf die Untertitel angewiesen sind. Bert Hoffmann
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