■ Bündnis 90/Die Grünen stritten über ihren Pazifismus
: Blockierte Debatte

Vorab: Der Vorwurf, die Friedensbewegung sei während des Golfkrieges auf die Barrikaden gegangen, schweige aber nun zum Drama auf dem Balkan, ist billig, blöd und falsch. Lange bevor sich die Politiker und eine breite Öffentlichkeit des Themas Jugoslawien annahmen, organisierten Friedensaktivisten konkrete Hilfe: Sie spendeten Sachmittel, unterstützten antinationalistische Medien in Kroatien und Serbien, organisierten die Flüchtlingshilfe und versteckten Deserteure. Das wird von Ideologen, die mit antipazifistischem Affekt und selbstgerechter Häme reichlich verspätet über eine „Bewegung“ herziehen, die es gar nicht gibt, geflissentlich übersehen.

Nichts spricht gegen die Fortsetzung dieser Art von Balkanhilfe. Nur verhindert sie eben nicht, daß täglich Leute verhungern und erfrieren, vergewaltigt und ermordet werden. Die Frage nach militärischem Eingreifen drängt sich auf dem Balkan buchstäblich mit Gewalt auf. Doch die Debatte, zu der Bündnis 90/Die Grünen am Samstag in den Reichstag luden, blieb weit hinter dem Diskussionsstand von Friedensforschungsinstituten und der interessierten Öffentlichkeit zurück. Wer für eine militärische Intervention optierte, mußte sich immer wieder sagen lassen, in Exjugoslawien könne es keine militärische Lösung des Konflikts geben. Ein billiger und blöder Vorwurf. Es kann jetzt in Bosnien-Herzegowina vorrangig nur darum gehen, wie möglichst schnell bei möglichst geringem Risiko möglichst viele akut bedrohte Menschenleben gerettet werden können. Daß die militärische Sicherung von Korridoren zu Verhungernden keine politische Lösung für die Zukunft der Republik ist, darf wohl als selbstverständlich gelten. Angesichts der dramatischen Lage muß es aber erlaubt sein, kurzfristige Ziele zu formulieren und zu verfolgen, ohne für alle Probleme die langfristige Lösung im Detail parat zu haben. Die Gefahren, die ein solches Vorgehen in sich birgt, liegen auf der Hand. Sie müssen zu den jetzigen Gefahren für Millionen ins Verhältnis gesetzt werden. Wer sich mit dem Verweis auf eine mögliche Eskalation des Konflikts, die selbstredend mit jeder Intervention verbunden ist, um die konkreten Fragen drückt, müßte mindestens zur Kenntnis nehmen, daß trotz – oder vielleicht eben gerade wegen– der Nicht- Intervention der Konflikt von einem Scharmützel in der Krajina zum größten und grausamsten Gemetzel im Nachkriegseuropa eskaliert ist.

Die Angst, daß ein Grundpfeiler grünen Selbstverständnisses aus den Zeiten der Blockkonfrontation und globalen Drohung eines Atomkrieges einknicken könnte, hat die Debatte im Reichstag schon im Ansatz blockiert. Knallharte Pazifisten können sich notfalls um konkrete Fragen drücken. Politiker, auch grüne, nicht. Es sei denn, sie wollen die Diskussion und Durchsetzung von Lösungen anderen überlassen. Es wäre eine politische Kapitulation. Thomas Schmid