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Umschlags-Gigant HHLA macht mobil

■ Neue Betriebsstrategie: Städtischer Großbetrieb HHLA bläst zum Angriff auf Altenwerder / Hafenarbeiterlöhne sollen sinken

/Hafenarbeiterlöhne sollen sinken

Kleines Ereignis, große Ursache: Wenn sich heute die Geschäftsführung der städtischen Hamburger Hafen- und Lagerhaus AG (HHLA) mit Betriebsrat und ÖTV trifft, um über die Ausgliederung der HHLA- Stückgutaktivitäten zu plauschen, geht es um mehr als Sozialpartnerschaft. Es geht um Grundtrends der Hafenentwicklung bei Umschlag, Mitbestimmung und Tarifen.

Sorgenvolle Stimmung im Hafen: Die Boom-Euphorie der Jahre 1989 bis 1991 ist verflogen. Der Umschlag stagniert. Immer bösartiger macht sich der harte internationale Druck auf die Seetransportkosten bemerkbar — die Ergebnisse der Hamburger Umschlagsbetriebe bekommen Schlagseite. Auch Fehlkalkulationen machen zu schaffen: Nach dem beispiellosen Boom hatte die HHLA auch für 1992 mit einem zweistelligen Wachstum gerechnet. Jetzt ist man schon froh, die Vorjahreszahlen gehalten zu haben. Ein Insider: „Nach der Wende orderten Russen, Polen und Ostdeutsche Konsumgüter wie blöd. Das ist vorbei. Die Krise in Osteuropa schlägt heute voll durch.“

Peter Dietrich, energischer Chef der HHLA, hatte die Entwicklung bereits im Frühjahr 1992 geahnt, nachdem das Weihnachtsgeschäft 1991 überraschend mau ausgefallen war. Der Nachfolger des 1991 abgetretenen sozialdemokratischen „Hafenkaisers“ Helmut Kern machte bald durch seine polternde Art und knallhartes Kostenmanagement auf sich aufmerksam. Die aufziehende HHLA-Krise ist für Dietrich die Gelegenheit, das Unternehmen nach seinen Vorstellungen neu zu ordnen. Er teilte den „lieben Mitarbeitern“ kürzlich mit: „Die Gesellschaft steht vor einem schmerzhaften Ergebnisabsturz. Unser Ziel ist es, die Krise zu verhindern, ehe sie die Existenz des Unternehmens bedrohen kann.“

Schon 1992 leitete Dietrich ein Sanierungsprogramm an, das den Verwaltungswasserkopf der HHLA nachhaltig austrocknen soll. 400 der noch 2140 Arbeitsplätze (1986 beschäftigte die HHLA 3600, 1990 noch 2640 Menschen) sollen verschwinden. Mehr noch: Mittelfri-

1stig will Dietrich die HHLA auf das Kerngeschäft „Container“, „Frucht“ und „Frost“ einschmelzen, was auch Staatsbetriebsskeptiker und Wirtschaftssenator Hans- Jürgen Krupp wohlgefällig betrachtet. Sanierungseifer und staatsbetriebliche Selbstbescheidung als neue Staatsmanager-Tugenden?

Weit gefehlt. Dietrich will auf Expansion nicht verzichten. Im Gegenteil: Er setzt auf die zweite Hälfte der 90er Jahre, in der er einen steilen Anstieg des Containerumschlags im Hamburger Hafen erwartet, wenn die Weltkonjunktur wieder anspringt und das tiefe Tal der ökonomischen Leiden in Osteuropa so langsam durchschritten ist. Er will vom Senat ein taufrisches Container-Gelände in Altenwerder, um dort mit gewaltigen Investitionen das modernste Con-

1tainer-Terminal Europas hochzuziehen. Offen bekennt er: „Die HHLA muß in den nächsten Jahren Hunderte von Millionen Mark investieren. Nur so kann sie die Chancen nutzen, die sich durch die Wiedervereinigung und die Entwicklung in Ostmitteleuropa bietet.“

Um die HHLA profitabel zu machen, wird nicht nur am Wasserkopf, sondern auch an gesunden Gliedmaßen operiert: Dietrich möchte den althergebrachten Stückgutumschlag ganz los sein. Dieses arbeitsintensive Hafenhandwerk alter Prägung hat in seinen Konzepten keinen Platz mehr. Deshalb soll es nach seinen Vorstellungen vom Diestelkai und vom Schuppen 80 am Sthamerkai an die Hafen-Umschlags-Gesellschaft (HUG) übergehen, die deutlich niedrigere Tarife zahlt. Die bisheri-

1gen 129 Arbeitskräfte sollen mit Frühverrentung und Jobs in den restlichen HHLA-Bereichen abgefunden werden. Den Vorschlag von Betriebsrat und ÖTV, am Sthamerkai eine Arbeitsgemeinschaft von HUG und HHLA einzurichten, lehnt Dietrich strikt ab. Dies sei, so rechnet er wenig überzeugend vor, teurer als eine Trennung, und schimpft, die ÖTV wolle der HHLA überhöhte Kosten aufladen.

ÖTV-Chef Rolf Fritsch räumt ein: „Den allgemeinen Rückgang im Stückgutumschlag sehen wir. Einer Rationalisierung in diesem Bereich würden wir uns nicht verschließen.“ Das jetzige HHLA-Konzept, so Fritsch, sei allerdings betriebswirtschaftlich nicht begründet. Die ÖTV wittert andere Motive: Der Kernbereich der Gültigkeit des Hafenarbeiterbetriebs soll weiter ein-

1geschränkt werden. Am Ende werde dann eine kleine Container- HHLA ihren hochqualifizierten Leuten in den Van-Carriern (eine Art Container-Gabelstabler) und Containerbrücken gute Löhne zahlen, während einfachere Tätigkeiten im Hafen nur noch nach den extrem niedrigen Tarifen der Lager- und Transportarbeiter entlohnt würden. Dies werde, fürchtet die ÖTV, mit einer Atomisierung der Hafenbetriebe in kleine, mitbestimmungsfreie Klitschen einhergehen, die schlechtere Löhne zahlen. Eine Einigung ist derzeit nicht in Sicht. Aller Voraussicht nach wird der Fall vor die Einigungstelle kommen, bei der dann alles vom jeweiligen „Neutralen“ abhängt. Dietrich jedenfalls hat es eilig: Zum 1.April soll das Stückgut weg sein. Florian Marten

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