Kennt seinesgleichen wie kein anderer

■ Wettbewerbsende: Costa Gavras‘ Komödie „La Petite Apocalypse“

Immer noch Klassenkampf? „Nein, er macht jetzt Fernsehproduktionen.“ Partytalk unter Pariser Intellektuellen. Sie sind alle Ex. Ex-Kommunisten, Ex-68er, Ex- Ehemänner, Ex-Ehefrauen. Bei Champagner und Häppchen wärmen sie sich an ihren Erinnerungen. Jacques (André Dussolier) und Henri (Pierre Arditi), Barbara und Arnold — lauter ermattete Feierabendrevoluzzer.

Stan ist Ex-Dissident, ein polnischer Schriftsteller im Pariser Exil. Alle wollen mit ihm über Politik reden, aber Stan verzieht sich in seine Dachkammer, trinkt Wodka, schreibt sein Testament. Ich vererbe. Fragt sich bloß was und an wen. Er zerknüllt das Papier und zaubert mit den Fingern Schattenrisse an die Wand: So macht er Kino für sich allein.

Stan ist Jiri Menzel, der tschechische Regisseur von „Lerchen am Faden“ — auch eine Dissidenten-Komödie, aber eine von 68, die damals verboten und erst vor drei Jahren auf der Berlinale uraufgeführt wurde. „La Petite Apocalypse“ ist eine Art Fortsetzung: „Accidental Hero“ auf osteuropäisch. Und besser als Frears.

Gegen die distinguierten französischen Stars Arditi und Dussolier macht Stan eine schlechte Figur: ein Stummfilmrelikt, der Tolpatsch in Person. Jeder Schritt ein Fehltritt, der im Chaos endet. Als seine Freunde ihn mit einem Elektrokabel um den Hals im halb abgebrannten Kämmerchen vorfinden, halten sie ihn für einen Selbstmordkandidaten. Dabei hatte er nur versucht, die Glühbirne auszuwechseln.

Der Rest ist eine Satire auf linke Nostalgie. Der Sozialismus ist tot, die Ehen sind kaputt — Midlife- Crisis ist gar kein Ausdruck. Da kommt Stans vermeintliche Verzweiflung gerade recht. Dem Mann kann geholfen werden; Wenn schon Selbstmord, dann richtig. Aktionismus als Ersatzbefriedigung: Mit Verlagschef, Mediengiganten und Publicity-Experten planen die Freunde ein spektakuläres Autodafé zum Papst-Gipfeltreffen auf dem Petersplatz in Rom. Nur ein toter Dissident ist ein guter Dissident. Aber Stan ist selbst zum Sterben zu ungeschickt. So überlebt er mangels Lebenskunst.

„La Petite Apocalypse“ behandelt das Selbstmitleid der Linken in Schweijkscher Manier. Stan nutzt die polnische Bürokratie, die Verbohrtheit des ehemaligen Schriftsteller-Verbandschefs, kurz: die letzten Relikte des real existierenden Sozialismus für seine bescheidenen Zwecke. Er duckt sich und ist den westeuropäischen Profis haushoch überlegen.

Soviel Selbstironie hätte ich Costa Gavras kaum zugetraut. Der engagierte Filmemacher verabschiedet sich von den Mythen der Linken mit einem Augenzwinkern. Kein Autodafé, bloß ein jungenhaftes Zündeln. Den düsteren Akademismus vom „Tangospieler" bis zur „Denunziantin“, die betuliche Selbstdarstellung der DEFA-Filmer und die Larmoyanz des westdeutschen Autorenkinos quittiert Costa Gavras am Ende dieses Festivals mit ein paar Lachtränen. Vielleicht, weil er seinesgleichen kennt wie kaum ein anderer. Christiane Peitz

Costa Gavras: „La Petite Apocalypse“, frei nach dem gleichnamigen Roman von Tadeusz Konwicki, Frankreich/Italien/Polen 1992, 110 Min. Mit Jiri Menzel, André Dussolier, Pierre Arditi.

23.2. International 22.30