Die Gemeinschaft ist wie eine Familie

■ Erster Verein für Suchtkranke in Ostberlin feiert dreijähriges Bestehen / Jeder, der freiwillig von der Droge wegkommen will, wird bei "Almedro International e.V. aufgenommen

Treptow. Zwanzig Jahre lang war Roland, heute 39 Jahre alt, heroinsüchtig. Eine Zeitlang dealte er, um seine Abhängigkeit zu finanzieren. Anfang 1992 wurde er aus dem Knast Moabit entlassen – seitdem lebt er mit anderen ehemals Suchtkranken im Mietshaus von „Almedro International e.V.“ in Treptow.

Hier in der Herkomerstraße 10 existiert seit drei Jahren der erste Verein im Ostteil der Stadt, der es Süchtigen ermöglicht, ein Leben ohne Alkohol, Medikamente und Drogen zu erlernen. Und zwar vollkommen selbstverantwortlich, ohne Sozialarbeiter, Therapeuten oder Psychologen. Ärztliche Hilfe wird nur in den anfänglichen schwierigen Entzugsphasen in Anspruch genommen.

Ab dann gilt das Motto: „Jemandem zu helfen ist gut, ihn zu lehren, sich selbst zu helfen, ist besser.“ Jeder, der ehrlich und freiwillig den Wunsch hat, von den Drogen wegzukommen, findet hier Aufnahme. Und jeder bleibt, solange er möchte, vorausgesetzt, er wird nicht rückfällig.

In dem Mietshaus, von den Bewohnern selbst instand gesetzt, renoviert und ausgestattet, leben heute 30 Frauen und Männer aller Altersstufen. Gemietet wurde es von der kommunalen Wohnungsbauverwaltung, und vorerst noch ist die Miete durch Fehlbedarfsplanung des Senats für Jugend und Familie gedeckt.

Dem Augenschein nach klappt die Selbstorganisation. „Die Arbeiten im Haus werden von allen gemeinsam erledigt“, sagt Mitbegründer des Projekts, Wolfram Page. „Jeder arbeitet nach seinem besten Wissen und Können.“ Einige bringen ihre alten Berufserfahrungen ein wie etwa Werner, der die ganze Sippe bekocht, oder Thorsten als Bäcker. Mit Hilfe von Gisela, einer gelernten Steinmetzin, entstand hinter dem Haus eine kleine Gartenlandschaft. Ronald selbst engagiert sich in Almedros zweitem Projekt, dem Kontakt- und Beratungsladen auf der gegenüberliegenden Straßenseite.

Die meisten Bewohner leben zu zweit in einem Raum. Roland hat, weil er schon länger dabei ist, ein eigenes Zimmer. Während der Unterhaltung in dem mit alten Möbeln gemütlich eingerichteten Raum lobt er immer wieder das Zusammenleben. Die Gemeinschaft, sagt er, sei für ihn „wie eine Familie“. Gerade in der Zeit nach dem Entzug, den er selbst als „gar nicht so schwer wie erwartet“ in Erinnerung hat, sei sie für ihn eine große Stütze gewesen, weil er sich in ihr mit seinen Problemen verstanden fühlte.

Besonders schätzt Roland die täglichen Gesprächskreise, in denen über alles gesprochen wird, über Ängste, Träume, Schwierigkeiten und Ideen. Glücklich macht ihn zu beobachten, wie sich viele hier „im Laufe der Zeit wandeln und zu einer – nenne es, wie Du willst – Freude am Leben finden“. An anderen Therapieeinrichtungen, durch die er während seiner Therapiezeit gegangen war, hatte ihn die Tendenz zu hierarchischen Strukturen gestört. Hier dagegen sei es viel besser, so „richtig demokratisch“ und mit nur „wenig starren Regeln“.

Die Bewohner des Hauses sind bestrebt, sich selbst zu finanzieren. Zusätzlich zur Sozialhilfe, die sie zusammenwerfen, verdienen sie Geld, indem sie Transporte und Umzüge durchführen und Maurer-, Maler- und Fliesenlegerarbeiten erledigen. Der Verein ist Mitglied im Paritätischen Wohlfahrtsverband – seine Eigenständigkeit hat er damit nicht aufgegeben.

Die Wohngemeinschaft im Almedro-Haus soll sich nach Ansicht Wolfram Pages nicht noch weiter vergrößern. Vielmehr plädiert er dafür, „kleinere Almedros zu schaffen, im Lande verstreut und in Familienform“. Nikolas Müller-Plantenberg

„Almedro International e.V.“ ist unter der Telefonnummer 2727056 zwischen 7 und 24 Uhr zu erreichen.