■ Press-Schlag
: Mettle in Mexico

Erinnerungen wurden wach. Erinnerungen an die spektakulärste Zeit des Profi- Boxsports. Erinnerungen an die 70er Jahre, als die Kämpfe von Muhammad Ali zu Klassenkämpfen, zu politischen Auseinandersetzungen, zu schwarzer Identitätsfindung stilisiert wurden. Der Fight am 30.Oktober 1974 in Zaire, in dem sich Ali den Titel durch einen K.O. in der achten Runde gegen George Foreman zurückholte, ging als „Rumble in the Jungle“ in die Geschichte ein. Foreman repräsentierte das schwarze Amerika, Ali das entwurzelte Afrika. Foreman trainierte zu Gospel-Musik, der Muslim Ali hörte Burundi-Trommeln. Ein Jahr später besiegte Ali im „Thriller in Manila“ Joe Frazier durch K.O. nach 14 Runden. Allen Kämpfen gingen Beschimpfungen voraus, die das Boxen über den Sport hinaushoben.

Daran erinnerte sich wohl auch Promoter Don King. Weil mit Mike Tyson sein zugkräftigster Schläger im Knast sitzt, machte King aus dem Kampf seines Schützlings Greg Haugen gegen den mexikanischen Superleichtgewichts-Weltmeister Julio Cesar Chavez eine nationale Angelegenheit. Vor dem Fight ließ Haugen keine Gelegenheit aus, seinen Gegner und vor allem dessen Familie zu beleidigen, was in Lateinamerika als besonders geschmacklos gilt. Aus einem Boxkampf wurde eine Auseinandersetzung zwischen den USA und ihrem Hinterhof, zwischen den Hausbesitzern und ihren Angestellten.

Diesmal gewannen die Hausangestellten. Chavez verprügelte Haugen fünf Runden lang und ließ die mexikanischen Fans den Sieg auskosten, obwohl er Haugen bereits in der ersten Runde am Rande des K.O. hatte. „Haugen hat es verdient, bestraft zu werden“, sagte Chavez, nachdem er Haugen bestraft hatte.

Don Kings Rechnung ging trotz der Niederlage seines Boxers auf. 130.000 Zuschauer waren ins Azteken- Stadion in Mexiko-City gepilgert, um die nationale Schmach gerächt zu sehen. „Töte ihn, töte ihn“, hallten die Sprechchöre durchs Stadion. Es war die größte Zuschauerzahl in der Geschichte des Boxsports. Als Jack Demsey 1926 in Philadelphia seinen Titel an den ungeliebten Gene Tunney verlor, waren 120.470 gekommen. Thomas Winkler