Gewonnen, aber nur Zweiter

Michael Stich gewinnt die Stuttgart Open gegen Richard Krajicek, will sich „auf das Sportliche“ konzentrieren und in die Top Fünf zurück  ■ Aus Stuttgart Peter Unfried

Zu Hause bei Jessica sitzt also der Tennisspieler Michael Stich und erholt sich von den Strapazen der vergangenen Woche. Und wird, darf man argwöhnen, auch ein klein wenig nachdenken. Darüber etwa, was er persönlich für sich aus Stuttgart mitgenommen hat, sieht man von den 355.000 Dollar einmal ab. Bevor er Stuttgart verließ, zog er lediglich ein rein sportliches Fazit: „Ich habe gut Tennis gespielt.“

Dem kann man nun kaum widersprechen. Stich, dessen größte Erfolge bis dato der Wimbledon- Sieg 1991 und der Münchner Grand-Slam-Cup vom vergangenen Herbst sind, hat mit dem Stuttgarter Erfolg einen großen Erfolg auf dem Weg zurück nach vorn getan. Seit gestern ist er mit Hilfe der gewonnenen 418 Punkte erstmals seit vergangenem Sommer wieder in den Top Ten notiert. Und das ohne nun wirklich Außergewöhnliches geleistet zu haben, sondern simpel das heruntergespielt zu haben, was zu spielen er in der Lage ist. Dies hat gegen Spieler, die ranglistenmäßig allesamt hinter ihm rangieren, manchmal knapp, aber immer gereicht.

Man kann das natürlich auch etwas positiver sehen: „Ich war in der Lage“, hat der Jungehemann befriedigt festgestellt, „mich sehr gut zu konzentrieren, wenn es eng geworden ist.“ So geschehen unter anderem im Finale gegen den Niederländer Richard Krajicek in Satz fünf, als er mehrere kritische Situationen „auch mit dem nötigen Glück“ (Stich) überstand. Jedenfalls hat er, nachdem er den Matchball Nummer eins zum 4:6, 7:5, 7:6 (7:4), 3:6, 7:5 verwandelt hatte, den Schläger weggeworfen, nicht allzu weit, ein paar Meter, ist dreimal ungelenk hochgehüpft und hat kurz mit den Händen gewedelt. Dies sollte sagen: „Ich habe mich riesig gefreut.“ Auch weil ihn die deutschen Zuschauer erst „fair“, hernach „sehr gut“, später gar „fanatisch“ unterstützten. Was freilich eine reichlich euphemistische Sicht der Dinge war. „Höflich“ mag eine treffendere Vokabel sein, Enthusiasmus behielten sich die Stuttgarter für einen Phantastischeren vor. Und der „große“ Erfolg?

Aus den Top Ten waren gerade zwei (Becker, Korda) am Start, und ausgerechnet diese beiden sanken infektgeschädigt vor Viertel- beziehungsweise Halbfinale ins Bett. Das hat aber keinen groß gestört, und so kann der rumänische Turnier-Impresario Ion Tiriac davon ausgehen, in dieser Goldgrube auch in den kommenden Jahren reichlich schürfen zu können. Der Vertrag mit den öffentlich-rechtlichen Sendern läuft bis 1996 und bringt jährlich 3,6 Millionen Mark, die Schleyerhalle war im vierten Anlauf zu ersten Mal fast ausverkauft, der Status des Ereignisses mit seiner Geld- und Punktegigantomanie wird über kurz oder lang auch die arithmetiknachhilfebedürftigen Branchenführer Courier und Sampras über den Neckar locken. Und außerdem hat Ion Tiriac in seiner Weisheit eh gesagt, es könne kein Ziel sein, die gesamten Top Ten hierzuhaben. Einen Top-Ten-Spieler kann er, falls nichts dazwischenkommt, schon einmal buchen: Michael Stich. Denn sein Sieg, der erste auf der Tour seit langer Zeit, soll erst der Anfang gewesen sein auf dem Weg, „dahin zurückzukommen, wo ich am Ende des Jahres sein will“. Wo er war, das sind die Top Fünf. Das sagt er ganz klar. Wo er auch war, das ist eine Plazierung vor Boris. Das hat er niemandem erzählt. Daß er daran denkt, denken muß, ist legitim. Er wäre nicht die deutsche Nummer zwei geworden, hätte er nicht den Ehrgeiz, den letzten Schritt auch noch zu machen.

Aber wenn er als sein Erfolgsrezept dieses nennt: „Ich habe mich auf Tennis konzentriert, und das hat sich ausgezahlt“, dann mag mancher mit Recht irritiert sein. Irgendetwas war doch da noch, dem die Konzentration galt? Richtig, Ärger, Streit, Verschwörungen, Boris! „Gute Besserung“, mehr nicht, hat er, bereits mit dem Siegerscheck in den Händen, ausgerufen. Das mag nichts bedeutet haben, doch bei Becker wird es wie Hohn angekommen sein.

Weil sich aber die Wege der beiden nun trennen, rastet die Fehde. Stich wird, abhängig davon, „wie ich mich fühle“, aber spätestens Ende der Woche einen transatlantischen Flieger besteigen. Indian Wells wartet, danach Key Biscayne, und Ende des Monats geht's in Gegenrichtung zum Davis-Cup nach Moskau. Dort wird Michael Stich endlich das sein, was er immer sein will, die deutsche Nummer eins. In Stuttgart ist er trotz des Sieges wieder nur als Zweiter verabschiedet worden.